Innovation

Wie wird man als Food-Start-up erfolgreich?

Lebensmittel sind ein Milliardenmarkt und Food-Startups ein großer Hype. Doch nur ein Bruchteil der jungen Unternehmen kann sich auf längere Sicht im Lebensmittel-Einzelhandel etablieren. Wir haben mit Lena Jüngst, Gründerin des erfolgreichen Münchener Startup „Air up“ gesprochen und geben elementare Tipps für Jungunternehmer.

Air up, Jannis Koppitz (CEO, Co-Founder, Geschäftsführer) und Sprecherin Bernadette Aicher
Air up, Simon Nüesch (CSO) und Sprecherin Bernadette Aicher bei der Food Start-up Veranstaltung der Lebensmittel Praxis. Foto: Peter Eilers

Air up ist ein Startup aus München, das ein weltweit einzigartiges Trinkflaschensystem entwickelt hat, das Wasser nur durch Duft Geschmack verleihen kann. Nach dem Einstieg namhafter Investoren wie Ralf Dümmel und Frank Thelen gelang die Listung in wichtigen Handelsketten. Lena Jüngst von Air up über die Hürden zum Markteinstieg und was junge Startups beachten sollten.

Air up, Food Start-up
Foto: Peter Eilers

Frau Jüngst, welche bürokratische Hürde hat Ihnen bei der Gründung von Air up am meisten weh getan und ist aus eurer Sicht verzichtbar?

Die Komplexität der gesamten Bürokratie ist wohl das, was uns am meisten getroffen hat. Als Unternehmer ist man es ja gewöhnt, verschiedene Problemchen kreativ zu lösen. Die bürokratischen Hürden in Deutschland, aber auch die unterschiedlichen Regelungen innerhalb der europäischen Union bilden ein Netz, das einen immer wieder bremst. Aufhalten lassen darf man sich dadurch aber natürlich nicht. Und gerade die aktuelle Lage zeigt, dass – auch staatliche – Regeln wichtig sind. Da darf man als Unternehmer nicht nur Jammern, sondern muss der Politik auch mal „Danke“ sagen.

Diese bürokratischen Schritte sind bei einer Gründung zu erledigen

  • Ein erfahrener Investor kennt meist die rechtlichen Schritte, die es zu beachten gibt. Wichtig ist bei einer Unternehmensgründung eine Rechtsform mit Haftungsbeschränkung. Das ist einmal die GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) und die Unternehmensgesellschaft (UG). Beide Formen der Unternehmensgründung erfordern eine notarielle Beglaubigung und einen Eintrag in das Handelsregister. Nachteil der GmbH: Das hohe erforderliche Stammkapital von 25.000 Euro. Daher bevorzugen viele Gründer die Form der UG. Wie man eine UG anmeldet, erfahren Sie hier.

  • Besonders wichtig für Lebensmittel ist es natürlich, sich über die rechtlichen Rahmenbedingunen im Klaren zu sein. Das Inverkehrbringen von Lebensmitteln unterliegt einer Vielzahl an Regulierungen und Prüfungen. Eine genaue Auflistung von Verordnungen und Bestimmungen zu Themen wie gesundheitsbezogene Aussagen (Health-Claims-Verordnung), technologische Zusatzstoffe, Novel-Food-Verordnung und Rückverfolgbarkeit bietet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, dem die Produkte auch angezeigt werden müssen.

  • Beispiel aus der Praxis: Vor zwei Jahren haben diverse Start-ups damit begonnen, Produkte auf Insektenbasis in den Handel zu bringen. Allerdings war das zum damaligen Zeitpunkt verboten, da mit der Novel-Food-Verordnung, die seit 1. Januar 2018 gilt, Insekten neuartige Lebensmittel sind, das heißt sie brauchen eine Zulassung (siehe auch Einschätzung des Lebensmittelverbandes).

Lena Jüngst, Gründerin Air up

„Die Komplexität der gesamten Bürokratie ist wohl das, was uns am meisten getroffen hat.“

Lena Jüngst

Air up

Woher kam am Anfang die Finanzierung des Geschäfts?

Vor unserer ersten großen Finanzierungsrunde haben wir unsere Arbeit durch Nebenjobs, Ersparnisse und Stipendien ermöglicht. Mittlerweile sind wir zu einem großen Teil von Investoren finanziert. Tatsächlich ist Air up die erste Beteiligung von Frank Thelen und Ralf Dümmel außerhalb der Höhle der Löwen und diese beiden waren, neben Christoph Miller, auch unserer ersten Unterstützer.

Würden Sie einem jungen Unternehmer heute sagen, es lohnt sich, sein gesamtes erspartes Geld in eine Idee zu stecken, von der man überzeugt ist?

Für die Erfahrung, die man in dieser Zeit sammelt und das was man lernt – auf jeden Fall! Und ich hätte mich sicher mein Leben lang geärgert, wenn wir es nicht versucht hätten.

Die Sache mit dem Geld: Wie finanziere ich ein Food-Startup?

  • Wenn man ein Startup Gründen will, braucht man Geld. Hierzu gibt es im Prinzip vier Möglichkeiten: Das eigene Sparschwein, ein Kredit bei einer Band, der Einstieg eines Business Angel und Crowdfounding. Bevor man sich aber an die konkrete Finanzierung macht, benötigt man einen Businessplan. Die Unternehmensgruppe Creditreform erklärt unter diesem Link, wie dieser aussehen kann.

  • Für Banken ist das Risiko eines hohen Kredits für ein Startup oft zu groß. Hier gilt es Überzeugungsarbeit zu leisten und den richtigen Draht zu finden. Lohnen kann sich ein Blick auf die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die zusammen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ein Online-Portal für Existenzgründer, die „Gründerplattform“, ins Leben gerufen hat, auf dem Start-ups hilfreiche Tipps und Tools zur Unternehmensgründung erhalten.

  • Vielversprechender ist aber das Werben um den Einstieg eines Business Angel. Der Einstieg eines Investors ist zwar in der Regel immer mit dem Verlust der totalen Unabhängigkeit verbunden, allerdings bringen Business Angels (wie auch in unserem Beispiel) Erfahrung und wichtige Netzwerke mit sich. Im Lebensmittel-Bereich bekannte Investoren sind Food Angels, DS Produkte von Ralf Dümmel, Döhler Ventures, Freigeist Capital, Prosiebensat. 1 accelator.

  • Das Crowdfunding stellt eine besonders Startup freundliche Finanzierungsform dar: Zum einen können auch Kleinstbeträge investiert werden, was bei der entsprechenden Masse an Investoren zu einer großen Summe führen kann. Außerdem kann eine erfolgreiche Crowdfunding Kampagne auch zu Marketing-Zwecken genutzt und die Aufmerksamkeit auf das junge Unternehmen gelenkt werden. Handel und Investoren wollen Siegertypen. Eine erfolgreiche Finanzierungskampagne setzt somit schonmal positive Signale. Über die rechtlichen Fallstricke einer solchen Kampagne klärt dieses Video auf:

Wo ist Air up aktuell überall gelistet?

Aktuell sind wir im LEH bei Bünting, Handelshof, Famila Bela, Müller, V-Markt, ausgewählten Rewe-Märkten, ausgewählten Edeka-Märkten und bei Real gelistet. Dazu kommen noch Karstadt/Kaufhof, Hagebaumarkt, einige Online-Shops und ausgewählte Sportfachhändler. Letztere waren zwar während der Ausgangsbeschränkung geschlossen, aber dafür konnten wir sehr stark vom aktiveren Online-Handel profitieren.

Wieviel wussten Sie über das System „Lebensmittel-Einzelhandel“, als Sie Ihre Geschäftsidee hatten?

Um ehrlich zu sein, waren wir bei diesem Thema noch sehr grün hinter den Ohren. Aber unsere Investoren Frank Thelen, Ralf Dümmel und Christoph Miller haben uns das 1 x 1 des LEH erklärt und uns damit sehr viel geholfen.

Wie funktioniert der Lebensmittel-Einzelhandel in Deutschland?

  • Sie sollten sich auf jedenfall mit dem komplexen System „Lebensmittel-Einzelhandel“ beschäftigen, insbesondere mit dem „zweistufigen Handel“.

  • Insbesondere die selbstständigen Händler (beispielsweise von Rewe oder Edeka) sind aufgeschlossen für Listungen, die nicht über die Zentrale laufen, da sie sich profilieren und abgrenzen möchten. Hier ist Klinkenputzen gefragt. Einen ersten Überblick über selbstständige Händler in Ihrer Region mit mehreren Filialen finden Sie über die Liste der stimmberechtigte Mitglieder der MLF (Mittelständische Lebensmittelbetriebe).

  • Eine Händler-Suche in den sieben Regionen der Edeka finden Sie hier.
Lena Jüngst, Gründerin Air up

„Um ehrlich zu sein, waren wir bei diesem Thema noch sehr grün hinter den Ohren.“

Lena Jüngst

Air up

Was waren für Sie die größten Herausforderungen beim Einstieg in den Handel aus Sicht der Vermarktung?

Viele Händler waren skeptisch, weil sie Air up als sehr erklärungsbedürftig empfanden. Uns wurde empfohlen, dass wir uns erst um die Bekanntheit unseres Produkts kümmern sollten, bevor wir im Regal stehen. Und das war auch richtig und wichtig. Die Bekanntheit in unserer Kernzielgruppe konnten wir in den letzten Monaten stark steigern, was sich auch in den Umsatzzahlen wiederspiegelt. Man sollte in jedem Fall dafür sorgen, dass man über diverse Marketingkanäle eine gewisse Grundbekanntheit erreicht, bevor man in die Supermärkte will. Der Platz in den deutschen LEH-Regalen ist begrenzt und ein Händler kann es sich im deutschen Wettbewerbsmarkt nicht leisten, Platz für ein Produkt zu lassen, das sich nicht verkauft – ganz egal wie innovativ es ist.

Vor der Listung muss das Food-Startup Wirbel machen

  • Eine eigene Webseite, die sozialen Kanäle oder Influencer-Marketing sind Werbeinstrumente, die auch kleineren Start-ups mit schmalem Budget zur Verfügung stehen. Über die Werbefunktionen von beispielsweise Faceook können Sie außerdem eine klare Zielgruppe festlegen. Wichtig ist es, dem Produkt ein klares Profil zu geben. An Mega-Trends wie Regionalität, Nachhaltigkeit oder Gesundheit kommt heute insbesondere im FMCG-Bereich kaum eine Neuheit vorbei. Am besten ist eine Kombination dieser Themen (im Praxisbeispiel Air up werden die Themen Nachhaltigkeit über den nicht anfallenden Verpackungsmüll und Gesundheit über den Konsum von kalorienarmen Wasser kombiniert).

  • Das Produkt sollte etwas Neues bieten, also innovativ sein. Wenn das Produkt erklärungsbedürftig ist, sollte versucht werden, die Vorteile so einfach und plakativ wie möglich zu beschreiben.

  • Händler achten sehr genau auf die Verpackung eines Produktes. Es muss im Regal auffallen und zur Zielgruppe passen. Mit einer antiquierten, unpassenden oder unschönen Verpackung kann der erste Eindruck bei Händler und Konsument schon negativ sein. Ein Anbieter individueller Verpackungslösungen ist Südpack.

  • Die Teilnahme an Fachmessen kann Aufmerksamkeit schaffen. Dabei ist der Platz in der Regel sehr begehrt und teuer. Hier gilt es, sich genau zu überlegen: Passt die Fachmesse zum Profil meines Produktes? Erreiche ich die Menschen, die ich erreichen möchte? Ist der Messestand wirklich sein Geld wert, oder kann ich die Mittel unter Umständen besser einsetzen?
    Wichtige Fachmessen in der Lebensmittelbranche sind beispielsweise Grüne Woche, Anuga, Vitafoods, Braubeviale, Internorga, Biofach, Fruit Logistica, Internationale Süßwarenmesse und die Prowein.
    Was viele Startups nicht wissen: Auch die Händler veranstalten regional eigene „Hausmessen“ (Edeka) und „Warenbörsen“ (Rewe). Der Versuch, hier einen Platz zu bekommen, kann sich lohnen, um einen direkten Draht in den Handel zu bekommen. Auch Messen der Großhändler Metro oder Lekkerland können sich lohnen ebenso wie die StartupCon.
Lena Jüngst, Gründerin Air up

„Der Platz in den deutschen LEH-Regalen ist begrenzt und ein Händler kann es sich im deutschen Wettbewerbsmarkt nicht leisten, Platz für ein Produkt zu lassen, das sich nicht verkauft – ganz egal wie innovativ es ist.“

Lena Jüngst

Air up

Branchen-Awards: Wie wichtig ist es, medial auf sich aufmerksam zu machen?

Die Berichterstattung in Zeitungen, Magazinen, TV und Radio war einer der wichtigsten Faktoren für unseren erfolgreichen Verkaufsstart. Und die erreicht man zum Beispiel durch die Teilnahme an Awards wie dem Food Startup Award der Lebensmittel Praxis. An solchen Auszeichnungen orientieren sich Journalisten gerne, wenn sie auf der Suche nach neuen Themen sind. Die Teilnahme an einem Award hat uns im letzten Jahr sogar ein Interview in der Tagesschau beschert und wir haben festgestellt, dass Fernsehen nach wie vor super wichtig vor die Steigerung der Markenbekanntheit ist.

Was kann der Handel besser machen, um junge Talente zu fördern?

Es wäre schön, wenn beide Parteien an einem Strang ziehen und eine gemeinsame Strategie definieren würden z.B. mit einer prominenten Platzierung der Produkte, geringeren oder keinen WKZ (Werbekostenzuschüsse, Anm. des Verfassers) und vor allem nicht so rigorosen Zahlungszielen, die sich nur Großkonzerne leisten können.

Wie fördert der Handel mein Startup?

Lena Jüngst, Gründerin Air up

„Startups können sich nicht so rigorose Zahlungsziele wie die Großkonzerne leisten“

Lena Jüngst

Air up

Was wünscht sich Ihr Unternehmen von der Politik?

Die sollte sich nicht immer der Lobbyarbeit der Großkonzerne unterwerfen, wenn es zum Beispiel um eine Zuckersteuer geht. Die Politik kann echte Innovationen fördern, wenn sie will. Aktuell spürt man leider nur wenige Bereitschaft dazu, nachhaltige und gesunde Produkte zu fördern.