Retail Insights

Wie Hersteller mit zertifizierter Ware Lieferketten krisenfester aufstellen können

Kaffeeernte

Mit dem Zusammenschluss von UTZ und Rainforest Alliance haben die Organisationen ihre gemeinsame Zertifizierung neu aufstellt. Herzstück könnte die Rückverfolgbarkeitsplattform Multitrace werden, die das Know-how besser zugänglich macht.

Rainforest Alliance bildet Landwirte aus, finanziert durch die Gebühren der Mitglieder.
Foto: Charly Watson

Aktuell nutzen UTZ und Rainforest Alliance insgesamt drei verschiedene Plattformen, die nun in der Softwarelösung Multitrace zusammengeführt werden. Anders als bei blockchainbasierten Technologien gehören die Mutitrace-Daten der Rainforest Alliance. Die Software bildet ein geschlossenes System, auf das nur auf Handelsebene zugegriffen werden kann. Jeder Verkauf und Kauf zertifizierter Produkte wird über die komplette Lieferkette vom Farmer bis zum Hersteller oder Großhändler registriert. Autorisierte Personen pflegen die Daten ein.

Zusammenschluss sorgt für größere Datenbasis

Durch den Zusammenschluss von UTZ und Rainforest Alliance wird die Datenbasis deutlich größer. Aber auch Zahlen und Satellitenbilder von der Weltraumbehörde ESA fließen ins System mit ein und werden ausgewertet. Dadurch wird die Geo-Kartierung der Betriebe sowie die Bestimmung von Risikogebieten vereinfacht.

Mit der Software Multitrace entsteht ein sehr komplexer Datensatz, der wichtige Fragen für den Anbau von Kaffee, Tee, Kakao und vielen weiteren Produkten liefern soll. Externe und unabhängige Audits tragen dazu bei, die Daten zu verifizieren.

Das große Kapital liege jedoch nicht in der Softwarelösung, betont Michael Spandern, Regional Lead Germany, Austria, Switzerland bei Rainforest Alliance, sondern im Know-how, das mit Multitrace besser zugänglich gemacht werden kann. „Es geht darum, Tee, Kaffee, Kakao und viele weitere Produkte so zu produzieren, dass sie in dieser Qualität auch noch in vielen Jahren zuverlässig geliefert werden können.“ Perspektivisch sollen die Daten auch dem Verbraucher helfen, nachzuvollziehen, woher die Rohstoffe kommen. Aktuell ist das nur auf der Handelsebene möglich.

Mehr Radau für neues Siegel 

Der Startschuss für die Verbraucher-Kampagne soll im September fallen. Dafür hat die Rainforest Alliance ein externes Funding erhalten. „Wir waren da bisher ein bisschen scheu im Vergleich zu anderen Organisationen“, sagt Spandern.

Zertifizierte Ware
Ein Viertel der Produkte bei Kaffee, Tee, Kakao sind von Herstellern, die mit zertifizierter Ware arbeiten.
Foto: Rainforest Alliance

Das Siegel stand bei der Arbeit der gemeinnützigen Organisation bisher nicht im Mittelpunkt. „Für uns war das immer nur ein Angebot“, erklärt Spandern weiter. Erste Versuche, wie die Rückverfolgbarkeit durch Angabe der L-Nummer auf der Verpackung, wurden weder von den Herstellern und noch von den Verbrauchern wirklich angenommen.

Delica macht Rückverfolgung von Lieferketten für Kunden sichtbar

Das Schweizer Unternehmen Delicia gehört zu den wenigen, die den Service zur Rückverfolgung immer noch nutzen, um die Herkunft eines Produktes für den Verbraucher transparent zu machen. Für die Rückverfolgung des Kaffees – beispielsweise von Café Royal – muss der Kunde lediglich EAN und L-Nummer von der Verpackung in eine Maske auf der Website eingeben. Café Royal will an dem Service (aktuell unter dem Siegel von UTZ) weiter festhalten: „Wir denken, dass das Interesse der Verbraucher steigen und das Angebot in Zukunft vermehrt genutzt wird. Für uns als Hersteller ist es wichtig zu zeigen, dass wir in unseren Produktionsländern etwas bewirken. Es ist ein Qualitätssiegel für unseren Rohkaffee und die Arbeitsbedingungen unserer Lieferanten und Partner.“ Die Rainforest Alliance hat das Programm nicht weiterverfolgt.

Fest steht aber für den Regionalleiter der Rainforest Alliance Michael Spandern: Es ist ein guter Zeitpunkt, um in der Verbraucherkommunikation neue Wege zu gehen. Denn es habe sich viel getan. Die Menschen wollten Bürger sein und nicht nur Konsumenten. Rund um das neue Siegel der fusionierten Unternehmen soll es deshalb mehr Radau geben. Und irgendwann vielleicht auch mal eine Verbraucher-App. Es sei aber noch nicht klar, ob die Organisation zusammen mit dem Handel oder eigenständig eine Lösung entwickele.

Perspektiven für den Lebensmittel-Einzelhandel 

Auch der Einzelhandel soll zukünftig mehr teilhaben können. Aktuell wollen Händler einfach wissen, dass die Stoffströme sicher sind – auch in der Zukunft. „Da ist der LEH noch in einer passiven Rolle“, sagt Michael Spandern. Dabei kann der Einzelhandel einiges dazu beitragen, um diese Ressourcen aufrechtzuerhalten. Mit Rainforest Alliance kann der Händler beispielsweise wichtige Informationen über die Marktentwicklung mit dem Landwirt teilen. Was wird in Zukunft gefragt sein? Wo lohnt es sich vielleicht, in eine Halle oder ein Gewächshaus zu investieren? Dabei gehe es nicht darum, konkrete Produzenten zu vermitteln. „Wir sind keine Makleragentur“, betont Spandern. Die Organisation halte sich vollständig aus der Preisentwicklung raus. „Auch wenn ein verpflichtendes Sustainability Differential gezahlt werden muss, gehört die Bezahlung der Landwirte nicht zu unseren Aufgaben. Wir veröffentlichen einen landwirtschaftlichen Standard.“

Die Organisation ist darauf ausgerichtet, ihre positiven Auswirkungen kontinuierlich zu steigern.  
Foto: David Dudenhöfer

Und dieser Standard soll zukünftig dynamischer werden. Rainforest Alliance arbeitet nicht nur mit Kleinbauern, sondern auch mit Großbetrieben zusammen. „Die Zertifizierung soll kein elitäres System sein, an dem nur wenige teilhaben können“, macht Spandern deutlich. Die Ziele: Schonung der Umwelt, langfristige Verträge, gute Bedingungen für die Arbeiter. Aber nicht überall sind die Probleme gleich. „Wir haben Mindestkriterien“, erklärt Spandern. „Kinderarbeit ist verboten. Ganz klar! Aber wir wollen, dass die Betriebe, die so mal gearbeitet haben, sich weiterentwickeln können.“ Schulen und Eltern müssten aufgeklärt werden. Während die Eltern arbeiten, müssen die Kinder zu Schule gehen. Und manchmal müsse man Regierungen daran erinnern, dass sie sich dazu verpflichtet haben, Kindern den Zugang zur Schule zu ermöglichen. „Wir wollen Kinderarbeit nicht nur verbieten, sondern dabei helfen, sie tatsächlich abzuschaffen! Das ist ein aktiver Prozess.“

Dynamische Zertifizierung in zwei Schritten

Rainforest Alliance bewertet bei der Zertifizierung zuerst die Risiken. Wie sieht die Situation der Arbeiter aus, nicht zuletzt auch speziell die der Wanderarbeiter? Verändert sich die Umwelt, das Wetter, das Klima? Wie kann nachhaltig gearbeitet werden, damit auch in fünf oder sechs Jahren an diesem Ort noch Kaffeekirschen geerntet werden können? „Im zweiten Schritt überlegen wir, welche Ziele der Landwirt in den nächsten Jahren erreichen muss“, erklärt Spandern. „Vielleicht kann man es sich so vorstellen: Die Landwirte bekommen einen Führerschein, müssen aber in regelmäßigen Abständen zusätzlich zu einem Fahrsicherheitstraining.“ Zertifizierte Landwirte müssen also Mindeststandards erfüllen und gleichzeitig auch immer daran arbeiten, sich zu verbessern. Durch diesen dynamischen Standard will sich Rainforest Alliance breiter aufstellen. Die Organisation will wachsen. „Der neue Standard folgt weniger einem Ja-Nein-Prinzip, sondern gibt eine Antwort, die in dem jeweiligen Kontext steht“, sagt der Regionalleiter.

Mehr Sicherheit für alle 

Wichtig bleibt, dass alle von diesem System profitieren. Der Landwirt kann sich darauf verlassen, dass seine Ware abgenommen wird. Mit dieser Sicherheit kann er investieren – zum Beispiel in eine Halle, um die wertvollen Rohstoffe gegen extremes Wetter zu schützen oder auch in Weiterbildung, um mit den sich ändernden klimatischen Bedingungen zurechtzukommen. Der Händler kann sich bei diesem Landwirt darauf verlassen, dass er seine Ware bekommt – in der bei Kaffee, Tee und Kakao so wichtigen Qualität und mit dem gewünschten Geschmacksprofil. Händler und Hersteller sind so krisenfester aufgestellt. Und das ist gerade in einer Zeit, die mit dem Coronavirus gezeigt hat, wie fragil Lieferketten und Warenströme sein können, wertvoller denn je.