Risikomanagement

Wie sich Corona auf das Export-Geschäft auswirkt

Export Inlandskonsum
Export Inlandskonsum
Bildquelle: chuttersnap/Unsplash

Welchen Einfluss hat die anhaltende Corona-Pandemie auf die internationalen Warenströme und das Export-Geschäft? Eine Umfrage der Lebensmittel Praxis unter besonders exportstarken Unternehmen und Branchen zeigt: Der gestiegene Inlandskonsum kann den Schaden durch die Exportschwäche in vielen, aber nicht allen Fällen abmildern.

Die deutschen Nahrungsmittelproduzenten erwirtschafteten noch im Januar 2019 einen Umsatz von 15,6 Milliarden Euro. Über ein Drittel dieser Wirtschaftsleistung ist auf den Export zurückzuführen. Milchpulver, Fleisch, alkoholische Getränke: Insgesamt wurden im Januar laut Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) Lebensmittel im Wert von 5,2 Milliarden Euro exportiert, 2,4 Prozent mehr im Vorjahresmonat. Auch ohne die berühmte Glaskugel zu bemühen, kann man prognostizieren, dass dies nicht so bleiben wird. Im aktuellen Ifo-Geschäftsklimaindex gibt es gerade bei den Indikatoren „Geschäftserwartungen in den nächsten sechs Monaten“ und „Erwartungen an das Exportgeschäft“ starke Ausreißer nach unten. Warenströme nach Asien sind aufgrund der Corona-Pandemie zum Erliegen gekommen. Aber auch die Logistik vor der europäischen Haustür ist betroffen: Die Grenzen wurden vorübergehend geschlossen. Es fehlt an geeigneten Transportmitteln und Lkw-Fahrern.

Fleischproduzenten kompensieren Exporteinbruch mit starkem Inlandsabsatz

Der Marktführer Tönnies berichtet von einem starken Absatz-Anstieg haltbarer Produkte. Die Menschen in Deutschland würden sich mit Fleisch und Wurstwaren eindecken. „Unser Böklunder Würstchen wird beispielsweise vom Verbraucher sehr gerne gekauft. Als lang haltbares Produkt erleben wir hier momentan eine enorme Nachfrage“, beschreibt Maximilian Tönnies, Geschäftsführer der zur Mühlen Gruppe die Marktlage.

Gleichzeitig stocke seit einigen Wochen die Ganztiervermarktung. Durch die internationale Verunsicherung, insbesondere in der Transportlogistik, erlebt das Unternehmen eine geschwächte Exportnachfrage. Dadurch kann der Schweinekörper nicht optimal verwertet und vermarktet werden.

Diese Krise zeigt für die Lebensmittelkette in Deutschland, wie wichtig eine einheimische Produktion auf unserem deutschen Standard ist.

Clemens Tönnies, geschäftsführender Gesellschafter der Tönnies Holding

Hans-Ewald Reinert ist Geschäftsführer der gleichnamigen Privat-Fleischerei aus Versmold. Nach der Fusion mit dem ebenfalls inhabergeführte Wettbewerber Kemper in Nortrup gehört dieses Konglomerat mit dem Namen „The Family Butchers“ zur Nummer zwei der Branche hinter dem Tönnies-Konzern. Das Unternehmen ist der größte Exporteur von Wurstwaren. Trotz der Krise zeichnet Reinert ein optimistisches Bild.

Lebensmittel Praxis: Wie hat sich Ihr Geschäft in den vergangenen Wochen verändert?

Hans-Ewald Reinert: „Der durch die Corona-Krise gesteigerte Konsum im LEH betrifft natürlich auch das Wurstwarensegment. Je nach Kategorie hatten wir in den letzten Wochen eine bis zu 80 Prozent stärkere Nachfrage, die sich vor allem im Preiseinstiegsbereich bemerkbar gemacht hat. Darüber hinaus konnten wir auch eine Verschiebung von der Theke zum SB-Regal feststellen, da Verbraucher aktuell weniger Zeit beim Einkauf verbringen und den Kontakt zum Marktpersonal möglichst meiden. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich das Kaufverhalten in den nächsten Wochen wieder normalisieren wird, wenn bei allen angekommen ist, dass die Lebensmittelversorgung gesichert und Hamsterkäufe nicht notwendig sind.“

Der Inlands-Absatz läuft also. Wie gestaltet sich die Situation auf den Auslands-Märkten?

„Der Export nach England ist während der Krise gerade besonders stark. Andere Länder wie Frankreich und Schweden laufen auf gleichbleibendem Niveau. Den Wegfall der weiteren Exportumsätze können wir vor allem durch die deutlich gestiegene Nachfrage innerhalb Deutschlands kompensieren. Unsere Marken wie beispielsweise Bärchen-Wurst als klassischer Familienartikel erreichen aktuell Rekordumsätze.“

Glauben Sie, dass sich durch die Pandemie unser globales Wirtschaftsdenken nachhaltig ändern wird?

„Ja, ganz sicher. Vor allem internationale Lieferketten werden sich verändern, da viele Industrien ihre Produktionen teilweise zurück ins eigene Land holen. Zudem werden Geschäftsreisen sicherlich zurückgehen, da die Digitalkompetenz vieler Unternehmen durch die Krise gestiegen ist und man festgestellt hat, dass Video-Konferenzen tatsächlich eine effiziente und nachhaltige Alternative darstellen.“

Sehen Sie für Ihr Geschäft in der Corona-Krise auch eine Chance?

„Wir können als positive Erfahrung auf jeden Fall mitnehmen, dass wir uns in Krisensituationen auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren Handelspartnern und Lieferanten verlassen können. Alle ziehen an einem Strang, um gemeinsam die Lebensmittelversorgung sicherzustellen. Auch unsere Mitarbeiter zeigen vollsten Einsatz und Teamgeist. Solidarität und Zusammenhalt sind ein großer Gewinn, der sicher auch nach der Krise noch spürbar sein wird.“

Wettbewerber Cornelius (Hockenheim in der Pfalz), der noch hauptsächlich für das Inland produziert, kann von der derzeitigen Pandemie ebenfalls profitieren. Geschäftsführer Peter Cornelius sieht deutlich positive Entwicklungen: „Wir beobachten aktuell eine erfreuliche Entwicklung bezüglich der Einstellung gegenüber heimischen und regionalen Produkten sowie gegenüber Servicepersonal wie Verkäufern oder aus der Pflege. Es wird nicht mehr alles als selbstverständlich erachtet, sondern die Menschen sehen wieder die Arbeit und Leidenschaft, die dahintersteht. Es werden außerdem vermehrt Produkte erworben, die regional produziert werden und eine längere Haltbarkeit aufweisen. Die Wertschätzung gegenüber unserer qualitativ hochwertigen Wurst hat sich enorm gesteigert. Ich bin mir sicher, dass dies nicht nur ein Trend ist!“

Auch Molkereien können Exporteinbruch noch kompensieren

Auch die exportorientierten Molkereien sind natürlich von der Pandemie betroffen. Der Verband der Milcherzeuger Bayern berichtet zwar im Inland von teilweise „200-prozentigen Steigerungsraten bei länger haltbaren Milcherzeugnissen wie H-Milch, Käse und Butter, hervorgerufen durch Hamsterkäufe der Verbraucher“. Dagegen habe der internationale Warenaustausch extrem nachgelassen oder ist ganz zum Erliegen gekommen. Entweder, weil die Landesgrenzen abgeriegelt wurden oder die geeigneten Transportmittel für die Güterbeförderung nicht ausreichend vorhanden sind beziehungsweise komplett fehlen.

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Die Bayerische Molkereien und somit auch deren Milcherzeuger seien von diesen geänderten Warenströmen so unterschiedlich wie noch nie betroffen: Kleine und vor allem spezialisierte Verarbeiter mit jahrzehntelangen, eigentlich sicheren Absatzwegen, zum Beispiel in der Systemgastronomie wie McDonalds und Co. oder bei Möbelhäusern, sind ebenso betroffen wie Verarbeiter, die stark im Export unterwegs sind. Gerade Länder mit geringem Selbstversorgungsgrad von Milch wie vor allem Italien, aber auch Portugal, Spanien oder Griechenland, waren ein sicherer und naheliegender Absatzweg vor der Haustüre.

Außerhalb Europas seien es oft weniger die Nachfrage, sondern die Probleme bei der Logistik, die die Lieferkette und somit das Verbringen des eigentlich nachgefragten Produktes zum Kunden erschweren. Andererseits profitieren aktuell auch einige bayerische Molkereien, die sich einer sehr engen Kooperation mit dem Lebensmittel-Einzelhandel verschrieben haben – und jetzt Sonderschichten für die Nachfrage der Privathaushalte schieben müssen, soweit Mensch und Maschine dies möglich machen.

Bäcker produzieren am „maximal ausgelasteten Band“

Läuft: So lässt sich die Lage für die Großbäcker Mestemacher sowie die Prünte-Tochter „B. just Bread“ beschreiben. Bei Mestemacher stand der Export 2019 für einen Umsatzanteil von 30 Prozent. „Der Export brummt, da Spezialbrote mit langer Genussfrische ungeöffnet auch im Ausland sehr begehrt sind“, sagt die Sprecherin der Mestemacher-Gruppe, Prof. Ulrike Detmers. Ware müsste wegen der weltweit gestiegenen Auftragsmengen und der Engpässe im kompletten Herstellprozess zugeteilt werden. Engpässe gibt es im Unternehmen wegen der gestiegenen Zahl der gebackenen Brote vor allem beim Auskühlen der frischen Brotstangen, Pasteurisieren in Spezialbackkammern, sowie Verpacken und Distribuieren.

Eine „deutlich erhöhte Nachfrage“ für die länger haltbaren „B. just Bread“-Brote spürt man auch bei Bäcker Prünte in Gelsenkirchen, wie Brand Manager Marius Rupieper sagt. Die Brote werden nach Spanien, Italien, Belgien und in die Niederlande exportiert. Derzeit sei der Backbetrieb maximal ausgelastet, „wir stellen kurzzeitig mehr Personal ein“. Ein Worst-Case-Szenario wäre für Rupieper das Zusammenbrechen der Logistikkette: „In diesem Fall könnten wir nicht mehr liefern, egal wieviel wir backen.“

Die Wein-Wirtschaft steht vor einer Fülle an Herausforderungen

Gleich mehrere Probleme hat die deutsche Weinwirtschaft zu meistern. Die im Oktober eingeführten stark erhöhten US-Zölle von 25 Prozent auf deutsche Weine wirken sich nach Einschätzung des Deutschen Weininstituts 2019 zwar noch nicht auf die Handelsbilanz aus – ein negativer Einfluss wird aber für dieses Jahr erwartet. „2020 wird herausfordernd sein“, sagte ein Sprecher des Deutschen Weininstituts. So könne noch niemand sagen, wie stark der erwartete Einbruch wegen des Coronavirus im chinesischen Markt sein werde. Zusätzliche Sorge bereite die Ungewissheit der noch ausstehenden Vereinbarung zwischen der EU und Großbritannien. Zudem muss die die Branche in diesem Jahr mit der Verschiebung der Fachmesse ProWein in Düsseldorf auf eine wichtige Plattform zur Exportförderung verzichten.

Der französische Spirituosenkonzern Pernod Ricard nannte bereits konkretere Zahlen zum Einfluss der Corona-Pandemie auf sein Geschäft. Im Absatzmarkt China sei die Nachfrage im Februar und März nur sehr schwach gewesen, hieß es. Im wichtigen Geschäft mit Reisenden wird bis zur Jahresmitte ein Einbruch um 80 Prozent erwartet, während der Umsatz über den Einzelhandel, der etwa drei Viertel der Gesamterlöse des Konzerns ausmacht, bis Juni um etwa zehn Prozent zurückgehen dürfte.

Brauer: 87 Prozent Kurzarbeit erwartet

Auch der Brauerbund hat sich zum Thema Export gemeldet. Bei der Frage nach den bisherigen Absatzverlusten mache sich bemerkbar, dass am Beginn der Krise im Februar zunächst der Einbruch der wichtigsten Exportmärkte Italien und China stand. Insofern verwundere es nicht, dass mit knapp 58 Prozent das Verlustvolumen im Export noch dominiert, während die durch die dramatische Krise in der Gastronomie zu erleidenden Absatzrückgänge mit 38 Prozent angegeben werden – ein Wert, der sich in den kommenden Wochen noch drastisch erhöhen wird. Der Absatz im Handel zeigt sich mit einem durchschnittlichen Rückgang von ca. 4 Prozent noch recht stabil. „Die Corona-Krise wird massive Auswirkungen haben auf die Beschäftigungslage in den deutschen Brauereien. 87 Prozent der Betriebe rechnen mit der Einführung von Kurzarbeit, 18 Prozent mit Entlassungen“, heißt es in einer Mitteilung des Brauerbundes.