Risikomanagement

Unternehmensrisiken im Griff?

Produktionsausfälle, Produktrückrufe, Pandemie. Die Notwendigkeit eines professionellen Risiko- und Krisenmanagements für Hersteller und Handel ist gewachsen.

Denkbare Risiken für Unternehmen gibt es unzählige. Allein rund 1,3 Produktrückrufe bzw. Warnungen werden pro Tag über das EU-Schnellwarnsystem RASFF für Lebens- und Futtermittel (Rapid Alert System for Food and Feed) für Deutschland gemeldet. Auf dem Vormarsch sind jedoch vor allem vermeintliche Skandale. Insbesondere für mittlere und kleine Unternehmen geht es im Krisenfall sehr schnell ums nackte Überleben.

Veränderte Rahmenbedingungen

Die Binsenweisheit „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ gilt eben auch für die Existenzsicherung von Unternehmen. Ein professionelles Risiko- und Krisenmanagement ist heute notwendiger denn je. Gründe hierfür sind veränderte Rahmenbedingungen. Durch NGOs, für die der „kritische Umgang“ mit Nahrungsmitteln teilweise Geschäftsgegenstand sei, seien Lebensmittel in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geraten, sagt Peter Feller, Geschäftsführer Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Auch Social Media leiste hierzu einen weiteren Beitrag.

„Durch diese Entwicklung müssen Nahrungsmittelhersteller mehr denn je davon ausgehen, dass sie mit Situationen konfrontiert werden, in denen sie entscheiden müssen, ob sie sich auf die öffentliche Thematisierung ihrer Produkte einlassen und wenn ja, in welcher Weise dies erfolgt.“

Peter Feller

Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE)

Die Behördenlandschaft sei heute sehr sensibel, sagt Dr. Michael Lendle, Geschäftsführer der AFC Risk & Crisis Consult GmbH. Man schaue in Deutschland genauer hin als in anderen Ländern. Auch ein gewisser Wettbewerb zwischen Behörden sei im föderalen System nicht immer auszuschließen. „Der Preisdruck im deutschen Lebensmittelhandel erhöht eindeutig die Gefahr weiterer Krisen“, betont Hendrik Löffler, Geschäftsführer der auf Risikomanagement spezialisierten Unternehmensberatung Funk RMCE. Es sei nicht verwunderlich, dass Unternehmen für Rohwaren-Beschaffung nach China ausweichen und es zu Fällen wie virusversuchte Erdbeeren komme.

Uwe Knebelsberger, Geschäftsführer der Corporate Trust Business Risk & Crisis Management GmbH, nennt u. a. das Agenda-Surfing der Politiker als Grund für den erhöhten Druck auf die Ernährungsbranche: „Zum einen hat sich die Politik Themen wie Verbraucherschutz mehr auf die Fahne geschrieben, aber vor allem die Verbraucher sind sensibilisierter.“ Auch er sieht ein großes Problem in der heutigen Geschwindigkeit der Nachrichtenverbreitung über Blogs, Foren oder Soziale Netzwerke.

„Die Gefahr der Rufschädigung hat mit dem Internet drastisch zugenommen. Dies stellt natürlich auf der einen Seite Unternehmen vor größere Herausforderungen. Auf der anderen Seite ergeben sich jedoch gerade hier auch Chancen für das Unternehmen selbst, wenn es z. B. Blogs und Social Media gezielt und proaktiv dafür nutzt, Vertrauen und Image aufzubauen.“

Uwe Knebelsberger

Geschäftsführer der Corporate Trust Business Risk & Crisis Management GmbH

Krisenprävention

  • Krisenaudit: Analyse möglicher Krisenpotenziale, -ursachen und -typen
  • Kriseninfrastruktur: Krisenstab, Krisenräume, Stellenbeschreibungen
  • Krisenhandbuch: Mustertexte für Mitarbeiter-, Presse- und Kundeninformationen, Kriterien für den Kriseneintritt
  • Krisenportal: kennwortgeschütztes Internetportal mit aktualisierten Informationen, Frage-Antwort-Kataloge
  • Krisenworkshop: Kriseneinführung und -sensibilisierung von Führungskräften
  • Medientraining: Umgang mit Medien in Krisenzeiten, Kernbotschaften
  • Krisenübung: Simulation eines Krisenfalls und anschließende Auswertung
  • Dark Sites: vorbereitete Internet-Seiten für den Krisenfall
  • Krisenbereitschaft: Einführung neuer Mitarbeiter, Auffrischungsworkshops
  • Krisenzertifikat: Testate als Beitrag zu KonTraG, Störfall-Verordnung, LFGB etc.

Krisenfrüherkennung

  • Frühwarnsystem: Beobachten von Medienberichten und Stakeholderforen, Anti-Whistle-Blowing
  • Issues Management: Erkennen von, Umgehen mit und Reagieren auf kritische Themen und Ereignisse

Krisenbewältigung

  • Ad-hoc-Krisenberatung: 24/7 Erreichbarkeit des Krisenstabs, Standleitung zum Ereignisort
  • Vor-Ort-Krisenberatung: Unterstützung am Ereignisort, Briefing des Krisen-Call-Centers, Entlastung des Managements

Krisennachbereitung

  • Krisenprophylaxe: Analyse und Moderation der notwendigen Veränderungsprozesse
  • Krisendokumentation: Broschüren und Chronologien zur Aufarbeitung des Krisenfalls
  • Krisendialoge: vertrauensbildende Maßnahmen, Informationsportale, Symposien

Fall: Covid-19

Die Wirtschaft war einer der ersten Corona-Patienten, zuerst „nur“ in China, dann hat das Virus binnen Wochen ganze Lieferketten und Handelsströme nahezu lahmgelegt. Wir Bundesbürger erleben zum ersten Mal in großem Maßstab die negativen Seiten der globalisierten Vernetzung. Als Anfang des Jahres 2020 die Autobauer und der Maschinenbau-Sektor Alarm gaben, hielten sich Aufregung und Mitleid noch in engen Grenzen, als Apotheker- und Handelsverbände sich äußerten, weil etwa Medikamentenbestandteile nicht mehr die Produktionsstätten erreichen, weil Fabriken stillstehen, weil Container in Häfen festliegen, weil Sperrzonen existieren, da kam die große Panik, Hamsterkäufe, Hysterie.

Italien, bestens vernetzt mit Chinas Textilwirtschaft, war zuerst betroffen. Weil man Panik verhindern wollte und zu lange mit zu sanften Methoden versucht hat, der Sache Herr zu werden – und während dessen tausende Infizierte nach Süditalien gereist sind – steht nun der komplette Stiefel-Staat unter Quarantäne, der Vatikan hat den Petersplatz abgeriegelt.

Nüchtern betrachtet, ist uns Italien immer nur ein paar Wochen voraus. Selbst die Kanzlerin wird zitiert, sie gehe davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Deutschen Corona bekommen. Für 80 Prozent aller Infizierten ist der Verlauf kaum merklich bis ertragbar, gefährdet sind alte Menschen, solche, die mit anderen Krankheiten vorbelastet sind, Schwache. Ihnen droht der Tod.

28.000 Intensiv-Betten, größtenteils mit Beatmungsgerät und allem Drumherum, gibt es in Deutschland. Das ist jetzt der limitierende Faktor. Die Politik hat sich nun selbst verschrieben, dass die Kurve der Infizierten möglichst langsam ansteigen soll, damit die Krankenhäuser (Betten, Technik, Personal) und das ganze Gesundheitssystem möglichst lange Zeit haben, sich vorzubereiten, und damit man den Verlauf auf dem Höhepunkt der Krise noch managen kann. Den Höhepunkt erwartet Deutschland erst in einigen Wochen. Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass uns Corona noch bis zum Sommer erhalten bleibt – mindestens.

Leeres Regal Corona
Leere Regale sind an der Tagesordnung
Bildquelle: John Cameron

Einschränkung des öffentlichen Lebens

Corona führt zur Quarantäne, höhere Gewalt zum Homeoffice. Erste Kindergärten und Schulen sind zu, Messen und Veranstaltungen werden verschoben oder fallen aus. Die Schweiz hat vor Wochen Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern verboten, in Deutschland regt das der Bundesgesundheitsminister auch an, kann aber nur beschränkt agieren, Länder-Sache. Für das Genehmigen, Untersagen oder die Auflagen für Veranstaltungen sind sogar die Kommunen zuständig.

Um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen, dürfen nun nach Einholen einer Genehmigung in Baden-Württemberg Lastkraftwagen auch an Sonn- und Feiertagen fahren. Im Ländle eröffnet die Landesregierung vorsorglich und vorübergehend zudem die Möglichkeit für Ausnahmegenehmigungen von Arbeitszeitregelungen. So könnten Betriebe die aktuellen Herausforderungen reibungslos mit ihrem vorhandenen Personal bewältigen, etwa das Auffüllen von Regalen oder das Kommissionieren von Waren. Beantragt werden kann auch, dass die tägliche Höchstarbeitszeit überschritten oder auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet werden darf. Diese Regelungen gelten befristet bis zum 30. April.

Noch nie dagewesene Zustände

Gestandene Kaufleute mit jahrzehntelanger Erfahrung haben so etwas wie in den vergangenen zwei Wochen noch nicht erlebt: Keine Nudel mehr im Regal, Desinfektionsmittel nicht mehr lieferbar, Toilettenpapier ausverkauft. Die neuesten Zahlen von Nielsen (siehe Tabelle auf dieser Seite) zeigen den Wahnsinn der Hamsterkäufe. Schon ohne Corona sind ja bekanntlich 70 Prozent unserer Entscheidungen emotionalgesteuert und fallen unterbewusst, derzeit so scheint es, sind oftmals nicht nur Handels-, sondern auch Hirnströme lahmgelegt.

Die Finanzmärkte sind schon längst auf Talfahrt, fast alle globalen Aktienindizes kennen fast nur eine Richtung: nach unten. Tritt das von den Ökonomen der OECD befürchtete Worst-Case-Szenario ein, könnten der Weltwirtschaft eine Billion Euro Schaden entstehen. Eine Rezession wäre wahrscheinlich. Gegen Entlassungen und Firmenpleiten helfen Hamsterkäufe nicht. Die Politik lockert Regeln, erleichtert Kredite und Kurzarbeit.

Mundschutz kann helfen, Hände waschen, Husten- und Nieshygiene auch.