Risikomanagement

Notfallmanagement: In diesen Punkten sollten Sie vorbereitet sein

Achtung!
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Bildquelle: Markus Spiske / Unsplash

Die Krise ist da, niemand hat sie kommen sehen. Zumindest nicht in dieser Dimension. Vielleicht ist das bei Corona so, aber man hätte sich besser darauf vorbereiten können, sagen Krisenberater.

Im Interview: Prof. Dr. Otto Strecker und Dr. Michael Lendle. Sie sind Geschäftsführer der AFC Risk & Crisis Consult in Bonn.

Eine Krise verlangt nach einem guten Krisenmanagement. Wie sehen Sie die Betriebe der Lebensmittelbranche gerade jetzt aufgestellt?

Strecker: Nahezu alle Lebensmittelhersteller haben ein Krisenmanagement in Bezug auf die eigene Verarbeitung und die eigenen Produkte – weniger in Bezug auf die Supply Chain und auf den Schutz ihrer Marken. Optimierungspotenziale bestehen häufig bei „eingekauften“ Risiken, wie beim Bezug schadhafter Rohware durch Lieferanten oder im Fall einer öffentlichen Skandalisierung durch NGOs oder Medien, die sich durchaus auf eine Situation bei Vor-Vorlieferanten beziehen kann. Der Handel ist in Bezug auf diese externen Risiken seiner Rolle entsprechend etwas besser aufgestellt als die Industrie.

Lendle: Auf solche Ausnahmesituationen wie eine Reputationskrise sind viele Unternehmen nur sehr bedingt vorbereitet. Dies liegt zum einen in der fehlenden Erfahrung mit eigenen Vorfällen zum anderen an dem wenig verbreiteten Wissen über angemessenen Umgang mit krisenhaften Ereignissen.

Oft reichen das vorhandene Wissen und die notwendigen personellen Ressourcen nicht aus, um eine Krise wie Corona zu bewältigen. Es ist ja eine besondere Situation. Wo können sich Unternehmer und Manager Hilfe holen?

Lendle: Gut aufgestellt werden Unternehmen durch zwei Maßnahmen: erstens durch ein eigenes Issue Monitoring potenziell krisenhafter Ereignisse für Unternehmen, Marke sowie Produkt und zweitens durch ein eingeübtes Ad-hoc-Krisenmanagement für Notfälle, das regelmäßig aktualisiert und geprobt wird. Sonst ist es ein Papiertiger.

Strecker: Genau. Die Komplexität eines Krisenereignisses wie Corona verlangt einen multidisziplinären Ansatz, um im Notfallmanagement vor allem umfassenden Gesundheits- und Arbeitsschutz wie auch betriebliche Kontinuität und drohenden Umsatzverlusten gleichzeitig adressieren zu können. Der Aufbau eines komplexen Notfallmanagements, das seinen Namen verdient, ist heutzutage ohne das Hinzuziehen externer Experten kaum möglich. Hilfestellung gibt es natürlich bei uns oder auch in Seminaren, die die Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie zum Thema Krisenmanagement anbietet.

Prof. Dr. Otto A. Strecker, Geschäftsfüher AFC Risk & Crisis Consult, Bonn
Bildquelle: AFC

Am Anfang eines Krisenmanagements stehen Identifikation und Analyse der Situation. Hat man sich zu Beginn der Corona-Krise in den Unternehmen zu sehr darauf verlassen, dass die deutsche Politik zunächst noch sehr moderat auf Corona reagiert hat? Hätte man mit Blick auf China und Italien eher die Ausmaße für sein Unternehmen erkennen können?

Strecker: Wir alle – als Bürger, Wirtschaft, Politik und Medien – haben die ersten Tage seit Bekanntwerden der Corona-Krise ähnlich reagiert. Zunächst abwarten und klären, um was für eine Virusinfektion es sich handeln könnte und welches Ausmaß diese potenzielle Krise gesundheitlich und geographisch einnehmen wird. Danach hat jeder für sich eigene potenzielle Risiken bewertet und entsprechende Maßnahmen geplant und durchgeführt. Neu ist bei Corona, dass nach wenigen Tagen der eigene Entscheidungsspielraum vieler Unternehmen relativ schnell durch das Handeln der Behörden eingeschränkt war und damit das Krisenmanagement in entsprechende Abhängigkeit von Regelungen zur Kontakt- und Reisebeschränkungen vollzogen wurde und noch wird. Unterschätzt wurde von betroffenen Unternehmen die Auswirkungen der Pandemie auf die Performance des gesamten Unternehmens, und zwar nicht nur mit Blick auf die gesamte Supply Chain sondern auch auf eigene Funktionsbereiche wie Personal, Produktion, Warenwirtschaft, Vertrieb und Kommunikation.

Welche Strategien und Gegenmaßnahmen haben die Unternehmen der Lebensmittelbranche angesetzt? Gibt es jetzt schon positive und eher negative Beispiele?

Lendle: Ein positives Beispiel ist etwa die Nutzung neuer Vertriebsstrukturen wie Direktvermarktung an Verbrauer, Umstellung des Einkaufs auf vermehrt regionale Produkte mit entsprechender Umgestaltung des Sortiments. Positiv ist auch, dass einige Unternehmen sich bei Konzepten zur betrieblichen Kontinuität nun endlich mit dem Thema Pandemie befassen. Negativ ist, dass wir bei einigen Unternehmen aber auch ein erstaunliches Festhalten an gewohnten Prozeduren beobachten mussten. Solche Unternehmer unterschätzten die Komplexität der Krise mit all ihren Auswirkungen auf die eben genannte Supply Chain und die eigenen Unternehmensbereiche.

Generell ist die Lebensmittelbranche aufgrund ihrer Relevanz und des Umgangs mit sensiblen Produkten gut beraten, bereits vor Krisen ein Risikomanagement zu betreiben. In einigen Zertifizierungen ist dies sogar gefordert. Wie sehen Sie die deutschen Unternehmen hier aufgestellt?

Strecker: Prinzipiell sind Unternehmen der Lebensmittelindustrie bei Standards zur präventiven Qualitätssicherung sehr gut aufgestellt, unter anderem durch die Zertifizierung nach dem International Featured Standard, kurz IFS. Viele Unternehmen nutzen auch bereits ein Issue Monitoring zur Identifizierung relevanter Risiken, um entsprechende vorausschauende Aktivitäten zum Produkt- und Markenschutz abzuleiten. Wir beraten unsere Mandanten in der Prävention in Richtung einer stärkeren Risiko-Orientierung. Das ist für die meisten noch Neuland.

Lendle: Im Bereich des Notfallmanagements zur Sicherung betrieblicher Kontinuität sind viele Unternehmen noch am Anfang und erstellen eher Hygienekonzepte, die bei komplexen Krisen wie Corona zu kurz greifen, statt konkrete Pandemie-Pläne. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, damit Unternehmen in ihrer Existenz nicht gefährdet werden.

Dr. Michael Lendle, Geschäftsführer der AFC Risk & Crisis Consult, Bonn
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Welche Frühwarnsysteme sollte man überlegen?

Lendle: Neben den für viele Unternehmen bereits bekannten EU-Schnellwarnsystemen RASFF (Anm.: Rapid Alert System Food and Feed) und RAPEX (Anm.: Rapid Exchange of Information System) bedarf es eigener, auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittener und stets angepasster Risiko-Frühwarn-Systeme. Das Stichwort Issue-Monitoring ist ja schon ein paar Mal gefallen. Für jedes unternehmensbezogene Frühwarnsystem ist das der Dreh- und Angelpunkt. Aufgrund globaler Warenströme muss jedes Unternehmen ein eigenes Risikoprofil, vor allem für kritische Geschäftsprozesse entwickeln und den Markt laufend nach entsprechenden Risiken screenen.

In der Corona-Hochphase waren teilweise Sortimente vergriffen. Nadelöhr war die Logistik. Werden die Beschaffungs- und Logistikrisiken ausreichend berücksichtigt? Was muss sich Ihrer Meinung nach hier verbessern?

Strecker: Die Beschaffung und Logistik sind nicht erst seit Corona im Risikomanagement häufig unterschätze Geschäftsbereiche. Gerade im Hinblick auf die betriebliche Kontinuität müssen diese Funktionen umfassender und risikoorientiert bewertet werden. Komplexe Lieferketten scheinen im Normalbetrieb preiswert und beherrschbar. Zu Zeiten von Corona erweisen sie sich teils als unbeherrschbar und die Abhängigkeit davon frisst die Kostenvorteile der Vergangenheit schnell auf. Ein Serverausfall ist in jedem Krisenszenario vorgesehen. Der gleichzeitige Ausfall oder Verzug diverser internationaler Zulieferer eher nicht. Es wird sicher einen Schub für das Thema produktionsnahe Beschaffung geben. Einige Unternehmen werden auch ausgelagerte Funktionen zurückholen und das Thema Lagerbestände und deren Mindestmengen neu bewerten. Aber auch nach Corona werden wir in einer arbeitsteiligen Welt leben. Die daraus resultierenden Risiken müssen wir aber besser beherrschbar machen.

Zu einer Krise gehört auch immer eine Krisenkommunikation, nach innen wie nach außen. Wie sollte man in Richtung Mitarbeiter auf der einen Seite, aber auch mit Blick auf Lieferanten, Dienstleister und Kunden bestmöglich kommunizieren?

Lendle: In der Krise ist eine angemessene Kommunikation mit allen Stakeholdern wesentlich. Was heißt dabei angemessen? Ob Mitarbeiter, Lieferant, Verbraucher, Kunde, Behörde oder Medien – alle haben einen Anspruch auf Informationen. Als Unternehmen muss ich zielgruppengenau informieren: Mitarbeiter brauchen andere Informationen als ein Amt, die Kunden brauchen andere Informationen als die Lieferanten. Das muss entsprechend aufbereitet werden und auf den diversen Informationskanälen bereitgestellt werden. Eine gleichlautende Information für alle reicht heute nicht einmal mehr im Ernährungshandwerk. Dass Transparenz, Offenheit und Glaubwürdigkeit eine Rolle spielen, sollte nicht mehr betont werden müssen.

Strecker: Wichtig ist die aktive vorangehende Rolle des betroffenen Unternehmens bei der Kommunikation. Einige Unternehmen reagieren aber verunsichert und passiv. Die Kommunikation reagiert nur noch. So etwas erzeugt Misstrauen, nicht nur in Corona-Zeiten. Was das für den Absatz bedeutet, liegt auf der Hand.

Corona wird für einige Unternehmen zur Überlebenskrise. Auf welche Ausmaße müssen wir uns Ihrer Meinung nach einstellen? Wie sehr wird das die Lebensmittelbranche tangieren?

Strecker: Im Zweifel würde ich mich eher auf größere als kleinere Auswirkungen einstellen. Auch wenn wir müde sind, täglich neue Schreckensszenarien von irgendwelchen Experten an die Wand gemalt zu bekommen. Das gebietet schon jede kaufmännische Sorgfaltspflicht. Derzeit gibt es eine einfache Regel: Alle, die über den LEH vermarkten, haben Umsatzzuwächse, teils im zweistelligen Bereich.

Lendle: Alle, die den HoReCa-Bereich beliefern, verlieren, und zwar durchgängig im zweistelligen Prozentbereich an Umsatz. Wer weiß, wie eng die Margen in den einzelnen Bereichen von Industrie, Großhandel, Catering und Gastronomie sind, weiß auch, dass viele in diesem Jahr an die Substanz des Unternehmens müssen. Wohl dem, der Rücklagen gebildet hat.

Strecker: Wir erwarten nach Abklingen der Corona-Welle, dass eine deutlich größere Zahl als üblich an Unternehmen der Branche zum Verkauf steht.