Das Wettrennen um die nächsten Bestseller im Regal ist wohl in keiner Warengruppe härter als im Beauty-Segment. Digitale Werkzeuge sollen frühzeitig erkennen, welcher „Buzz“ zum Hype wird und die Produktentwicklung beschleunigen.
>> Kosmetik-Verwenderinnen sind eine fordernde Kundschaft. Ob neuer Wunder-Wirkstoff im Cremetiegel oder die Lidschattentöne der nächsten Saison: Social-Media-Aktivitäten und das World Wide Web spülen mit jedem Klick neue Anregungen in Newsfeeds und Kaufempfehlungslisten trendbewusster Verbraucher. Einmal angefixt, will das neu geweckte Interesse und Bedürfnis auch möglichst sofort bedient werden. Die moderne Ungeduld setzt Hersteller unter Druck, ihre Trendforschung und Produktentwicklung zu verändern.
„Alles ist schnelllebiger geworden, Handel und Verbraucher erwarten ständig Innovationen, als Hersteller müssen wir schnellstmöglich passende Angebote für neue Bedürfnisse bieten“, sagt Rainer Derwald, Leiter des Produktteams bei Schaebens (Haus Schaeben). Habe die Entwicklung einer Produktneuheit von der Idee bis zum Produkt im Regal früher noch ein bis zwei Jahre in Anspruch genommen, sind es laut Derwald heute noch sechs bis zwölf Monate. „Trends entstehen heute im Sekundentakt. Die Herausforderung für uns bei Henkel Beauty besteht darin, nachhaltige Trends zu identifizieren“, erklärt Cornelia Schlatt, Marketingleitung Henkel Beauty Care Deutschland, den größten Knackpunkt für Produktentwicklung.
„Wir sind heute viel schneller, wenn es darum geht, Produkt-Konzepte zu testen.“
Sigmar Werz, Beiersdorf
Wie hoch der Druck gerade bei dekorativer Kosmetik ist, macht Cosnova deutlich. Zwei Mal im Jahr werden jeweils 50 Prozent der Sortimente der Marken Essence und Catrice aktualisiert, laufend wechselnde Trend- und Limited Editions ergänzen das Angebot. Hierfür beobachtet das Trends & Consumer Insights Team laufend neue spannende Bewegungen auf der ganzen Welt. „Neben vielen weiteren Methoden helfen uns digitale Tools in der Trendrecherche, den Prozess noch stärker an unseren Konsumenten auszurichten und möglichst ungefiltert Konversationen und Bewegungen beobachten zu können“, sagt Sandra Plahuta, Head of Trends & Consumer Insights.
Social Listening ist angesagt
Die Zauberworte dabei sind „Social Listening“ und „Buzzwords“ (Schlagworte). Über Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) werden schlicht die Online-Aktivitäten der Verbraucher auf Such- und Händlerportalen sowie in Social-Media-Kanälen auf definierte Begriffe hin analysiert.
Bereits seit Jahren wendet L’Oréal das so genannte Social Listening an, entdeckt Trend-Themen, welche Inhaltsstoffe beliebter werden, und für welche Schönheits-Probleme Lösungen gesucht werden. Dass es nicht ausreicht, lediglich eine Google-Analyse zu betreiben, erklärt Sabine Menzel, Director Consumer & Market Intelligence: „So wird zum Beispiel auf Videoplattformen besonders viel nach Haarstyling-Ideen geschaut, während für Hautprobleme eher Informationen und Lösungen auf Marken-Websites wie Larocheposey.de gesucht werden und diese in spezifischen Foren besprochen werden.“ Produktbewertungen seien eine gute Quelle, um zu erfahren, welche Eigenschaften von den einzelnen Schönheitsprodukten erwartet würden und wie Innovationen angenommen würden.
Nicole Bard, Digital Director L’Oréal Deutschland, erklärt die Vorgehensweise. Daten und Künstliche Intelligenz werden vom Unternehmen verwendet, um bestimmte Prozesse von der Bedarfsprognose bis zum Medieneinkauf zu optimieren und zu automatisieren. „Wenn es um die ganz besonders frühzeitige Identifikation von schwachen Signalen geht, muss man hypothesengetrieben arbeiten. Das heißt, wir vermuten, dass bestimmte Begriffe, Bedürfnisse, Lösungen an Bedeutung gewinnen und suchen aktiv, wie der sogenannte ‚Buzz‘ im Netz sich verändert und inhaltlich aufgeladen ist, wie weit er streut und welche Aspekte und verwandte Themen sich gegenseitig beeinflussen.“
Wie ernst die Franzosen die Nutzung der neuen Möglichkeiten nehmen, zeigt die Systematik, mit der gearbeitet wird. Alle Marketingmitarbeiter haben Zugang zu einem internen Cockpit, können genau verfolgen, wie die eigene Marke im Vergleich zu anderen auf verschiedensten digitalen Leistungskennzahlen etwa im Bereich E-Commerce und Influencer-Marketing abschneidet und wo Optimierungsmöglichkeiten bestehen.
„Daten und KI helfen uns, unsere Verbraucher, ihre Wünsche und Bedürfnisse besser zu verstehen.“
Cornelia Schlatt, Henkel Beauty Care Deutschland
Nicht nur Großkonzerne nutzen die neue Art der Marktforschung. Auch der Frechener Beauty- und Health-Spezialist Schaebens bezieht diese ein, um relevante Trends und neue Verbraucherbedürfnisse frühzeitig zu identifizieren und die Produktentwicklung ganzheitlich anzugehen. Derwald: „Wir haben seit vielen Jahren einen 360-Grad-Ansatz etabliert. Wir beziehen die von Forschern identifizierten gesellschaftlichen Mega-Trends ein, setzen auf Trend-scouting und Store Checks, sowie auf KI und Marktforschung. Unsere Mitarbeiter sind auf Messen unterwegs und schauen sich oft in den Metropolen Europas und der Welt um, damit man am Puls der Zeit Trends der Verbraucher erkennt und richtig deutet.“
Timing ist alles
Die Digitalisierung könne dabei helfen, die richtigen Trends zur richtigen Zeit zu definieren. Denn: Reagiert man zu spät auf eine aktuelle Entwicklung, ist der Wettbewerb schon enorm, kommt eine Innovation zu früh auf den Markt, wird der große Erfolg höchst wahrscheinlich ebenso ausbleiben.
So lange ein Thema nicht auf einen gesellschaftlichen Trend einzahle, bleibe es eher in der Nische, weiß Derwald. „Naturkosmetik und naturnahe Kosmetik hatten wir beispielsweise bereits vor rund 20 Jahren als Trendthema beobachtet. Doch etabliert hat sich das Segment erst richtig, als Nachhaltigkeit zu einer gesellschaftlichen Bewegung wurde. Und es geht heute über die Rezeptur hinaus und setzt sich fort im Bereich nachhaltiger Packmittel und Wertschöpfungsketten“.
Mit Künstlicher Intelligenz und Algorithmen sollen also relevante Themen möglichst mit so viel Zeitvorsprung erkannt werden, dass das Produkt bereits auf dem Markt ist, wenn sich der Hype gerade erst aufbaut. Während zu viel Zeit verloren gehe, wenn Produktentwickler und Trendscouts neue Themen und Trendprodukte auf Messen oder in Geschäften entdeckten, könnten online Daten bereits zu dem Zeitpunkt analysiert werden, in dem sich der Verbraucher erstmals mit einem Thema beschäftigte, online danach suche, verdeutlicht Peter Hart, Gründer der Swarm Market Research AI.
Laut Hart kann die von dem Start-up entwickelte KI Pythia die Produktentwicklungszeiten für Unternehmen um sechs Monate verkürzen. Sie durchleuchtet Google, Social-Media-Kanäle und große Plattformen wie Amazon (Suchanfragen und getätigte Käufe) auf zuvor vom Kunden ausgewählte Schlagworte hin. Auf Grundlage von Suchfrequenzen der letzten fünf Jahre erstellt Pythia eine Prognose für die kommenden 18 Monate und visualisiert sie grafisch. Sehr früh habe die KI zum Beispiel eine große Nachfrage nach CBD- beziehungsweise Hanfprodukten und Vitamin C als Wirkstoff in Gesichtspflegemitteln vorhergesagt. Auch welche Looks, Farben oder Produktattribute (vegan, frei von) gefragt sein werden, lasse sich an den Ergebnissen ablesen. Neben Kunden aus der Kosmetikindustrie nutzt auch Drogist Rossmann die KI und hat sich mit 25 Prozent an dem Unternehmen beteiligt.
Fakten statt Lippenbekenntnisse
Zudem sprechen Daten eine eindeutige Sprache. „Wir können neue Trends quasi in Echtzeit entdecken und mit authentischem Konsumentenverhalten erleben und brauchen nicht erst qualitative und quantitative Befragungen aufsetzen“, so L’Oréal-Managerin Menzel. Während man bei Verbraucherumfragen oft Lippenbekenntnisse zu hören bekäme und der Inhalt des Einkaufskorbes zum Beispiel doch sehr viel weniger nachhaltig ist, als zuvor behauptet, zeigten die verarbeiteten Daten aus Suchanfragen und getätigten Online-Käufen, wie viele Verbraucher sich tatsächlich beispielsweise für einen nachhaltigen Lippenstift interessierten, gibt Hart ein Beispiel.
„Wir erhalten ein ganzheitliches Bild der Konsumenten- und Verwenderwelt, ungefärbt und ungestützt“, bestätigt Henkel-Marketingexpertin Schlatt die Vorteile der digitalen Transformation. Mittels Social Listening, Keywordanalysen und über eigene digitale wie physische Communities habe Henkel ,beide Ohren‘ direkt am Kunden, um die kommenden Modetrends und Looks zu antizipieren. Man entwickle aber auch selbst Trends – „dabei helfen uns unter anderem wichtige Insights von Influencern und natürlich auch unseren Handelspartnern“, ergänzt Schlatt. Für die kreative Umsetzung von Trends in Konzepte und Produkte seien neue interne Abläufe eingeführt worden, um in Projekt-Teams mit Kollegen aus dem Marketing, der Forschung & Entwicklung und der Verpackungsentwicklung möglichst schnelle Time-To-Market-Prozesse zu ermöglichen.
„Die Herausforderung besteht darin, zwischen kurzfristigen Hypes und tragenden Ideen zu unterscheiden.“
Nicole Bard, L‘Oréal Deutschland
Kann man als Hersteller einen großen Trend für sein Portfolio als lukrativ identifizieren, fängt die richtige Arbeit jedoch erst an. Eine Trendzutat in eine Produktidee zu gießen, bringt nur dann einen Zusatznutzen und führt zu Wiederholungskäufen, wenn die Wirkung auch erlebbar ist. „Vitamin C ist beispielsweise seit gut ein bis zwei Jahren sehr angesagt in der Gesichtspflege“, gibt Derwald ein Beispiel.
Trendig und wirksam
Aber erst die richtig abgestimmte Rezeptur in Abstimmung mit anderen Wirkstoffen und dem richtigen Packmittel führt dann zu dem richtigen Ergebnis. „Für Schaebens stehen Produktqualität, Wirksamkeit, Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit an erster Stelle. Neuprodukte werden in Wirkungstests auf Herz und Nieren geprüft. Wir möchten mit unseren Produkten die höchst mögliche Wirksamkeit und minimale Nebenwirkungen bieten, sowie das Thema Nachhaltigkeit immer weiter ausbauen“, so Derwald.
Ist ein Produkt marktreif, nutzt die Digitalisierung auch in der Weiterentwicklung. Sigmar Werz, Corporate Director Global Digital Brand Commerce bei Beiersdorf: „Grundsätzlich hat sich im Zuge der digitalen Transformation, die Art wie wir in Marketing & Sales arbeiten, stark verändert. Wir sind heute viel schneller, wenn es darum geht, Produkt-Konzepte zu testen.“ Und das auch „live“ auf den Direct-to-Consumer-Kanälen (zum Beispiel der Shop nivea.de). Hier könne man Tests schnell durchführen, mit kleineren Chargen Konzepte ausprobieren und die Reaktion der gewünschten Zielgruppe in kürzester Zeit sehen und gegebenenfalls Anpassungen am Konzept vornehmen.“
Zielgruppenaffine Sprache
Sind die zielgruppengerechten Produktformeln und Verpackungen ausgewählt, gilt es auch die Kommunikation darauf auszurichten, den Kunden mit den richtigen Schlagworten und Claims zu erreichen.
„Unsere KI kann Produktentwicklungszeiten um rund sechs Monate verkürzen.“
Peter Hart, Swarm ‧Market Research AI
Wichtig ist, die Sprache der Verbraucher zu sprechen“, betont L‘Oréal-Managerin Menzel. Durch Social und Search Insights weiß der Beauty-Spezialist beispielsweise, dass bis heute Frauen in Deutschland und Österreich viel mehr den Begriff Wimperntusche verwenden als das englischsprachige Mascara. Um Konsumenten auch sprachbasiert die richtigen Artikel zu bieten, wurden die Wimperntusche-Produkte der Make-up Marke Age Perfect an jedem Kontaktpunkt vom Produkt selbst, über PoS-Material und die Website bis hin zu E-Commerce-Shops entsprechend benannt. Ein weiteres Beispiel sei die Benennung einer Haarkur als „Fructis Schadenlöscher“, weil sie genau das beim Haar leiste.
Datensammler
Der Kreis schließt sich, wenn auch eigene digitale Produktlösungen für den Endverbraucher diesem nicht nur einen besonderen Service bieten, sondern dem Hersteller auch zusätzliche Daten für die Innovationsschmiede liefern. „Wir haben zum Beispiel gerade im letzten Jahr einen digitalen Assistenten zur Farbberatung bei der Wahl von Colorationen entwickelt und in Deutschland eingeführt“, so Henkel-Managerin Schlatt. Choicify.net schlägt Konsumenten auf Basis ihrer Ausgangshaarfarbe und des gewünschten Farbergebnisses das passende Produkt vor. Dabei empfiehlt die Anwendung nicht nur Colorationen von Henkel, sondern berücksichtigt auch Marken anderer Hersteller. „Die Qualität der Produktempfehlung wird durch eine Kombination aus fortschrittlichen Big-Data-Algorithmen zur Farbvorhersage und durch farbmetrische Messungen sichergestellt“, erklärt Schlatt.
L‘Oréal betreibt seit acht Jahren ein sogenanntes Tech Incubator Lab, für das mittlerweile 40 Mitarbeiter an verschiedenen regionalen Niederlassungen arbeiten. Ergebnisse sind beispielsweise die Make-up Genius App, mit der man virtuell Eyeliner oder Lidschatten testen kann, und der batterielose, tragbare Sonnenschutzsensor My Skin Track UV. „Anfang des Jahres haben wir auf der CES in Las Vegas ein Connected Device namens Perso vorgestellt, welches maßgeschneiderte Formeln für Gesichtspflege, Make-up und Lippenstift auf Basis künstlicher Intelligenz anbieten wird und 2021 auf den Markt kommen soll. Hiermit können wir zukünftig auch wichtige Datenpunkte sammeln“, so Nicole Bard.
Im Frühjahr 2020 neu eingeführt hat Beiersdorf die Web-App Nivea Skin Guide. Über die Applikation werden die individuellen Hautbedürfnisse von Nutzerinnen virtuell auf Basis ihrer Selfies ermittelt, verknüpft mit umfangreichen Forschungsdaten: Mehr als 10.000 Frauen weltweit haben über mehrere Monate hinweg täglich ihre Haut gemessen. Herausgekommen sind mehr als 12 Millionen Hautbilder, die Beiersdorf mithilfe künstlicher Intelligenz analysiert hat.
Für die individuelle Analyse werden drei Parameter der Haut gemessen: optisches Hautalter, Hautstraffheit und Hautebenmäßigkeit. Mit jedem Selfie lernt die Web-App die Haut ihrer Nutzerinnen besser kennen. Auf Grundlage der Analyseergebnisse erfahren sie, welche Wirkstoffe sie wirklich brauchen und erhalten persönliche Produktempfehlungen sowie auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Hautpflegetipps. Darüber hinaus können die Nutzerinnen ein einem digitalen Hauttagebuch auch die langfristige Entwicklung ihrer Haut dokumentieren.
„Nivea Skin Guide spiegelt sowohl die führende Hautpflegekompetenz von Beiersdorf als auch unseren zunehmenden Grad der Digitalisierung wider“, sagt Martin Böhm, Chief Digital Officer Beiersdorf. Einerseits schaffe die Web-App einen echten Mehrwert für die Verbraucherinnen im Bereich der Hautpflege und verbinde das Unternehmen mit ihnen auf direktem, digitalem Wege. Auf der anderen Seite ermögliche die große Menge an qualitativ hochwertigen Daten es Beiersdorf, noch besser auf die individuellen Bedürfnisse der Verbraucher einzugehen und ein personalisiertes Markenerlebnis entlang der gesamten Verbraucherreise zu schaffen
Fotos: Hazel Olayres on Unsplash, Henkel, L‘Oréal, Andreas Muhme, Beiersdorf, Cosnova
Das Wettrennen um die nächsten Bestseller im Regal ist wohl in keiner Warengruppe härter als im Beauty-Segment. Digitale Werkzeuge sollen frühzeitig erkennen, welcher „Buzz“ zum Hype wird und die Produktentwicklung beschleunigen.
>> Kosmetik-Verwenderinnen sind eine fordernde Kundschaft. Ob neuer Wunder-Wirkstoff im Cremetiegel oder die Lidschattentöne der nächsten Saison: Social-Media-Aktivitäten und das World Wide Web spülen mit jedem Klick neue Anregungen in Newsfeeds und Kaufempfehlungslisten trendbewusster Verbraucher. Einmal angefixt, will das neu geweckte Interesse und Bedürfnis auch möglichst sofort bedient werden. Die moderne Ungeduld setzt Hersteller unter Druck, ihre Trendforschung und Produktentwicklung zu verändern.
„Alles ist schnelllebiger geworden, Handel und Verbraucher erwarten ständig Innovationen, als Hersteller müssen wir schnellstmöglich passende Angebote für neue Bedürfnisse bieten“, sagt Rainer Derwald, Leiter des Produktteams bei Schaebens (Haus Schaeben). Habe die Entwicklung einer Produktneuheit von der Idee bis zum Produkt im Regal früher noch ein bis zwei Jahre in Anspruch genommen, sind es laut Derwald heute noch sechs bis zwölf Monate. „Trends entstehen heute im Sekundentakt. Die Herausforderung für uns bei Henkel Beauty besteht darin, nachhaltige Trends zu identifizieren“, erklärt Cornelia Schlatt, Marketingleitung Henkel Beauty Care Deutschland, den größten Knackpunkt für Produktentwicklung.
Wie hoch der Druck gerade bei dekorativer Kosmetik ist, macht Cosnova deutlich. Zwei Mal im Jahr werden jeweils 50 Prozent der Sortimente der Marken Essence und Catrice aktualisiert, laufend wechselnde Trend- und Limited Editions ergänzen das Angebot. Hierfür beobachtet das Trends & Consumer Insights Team laufend neue spannende Bewegungen auf der ganzen Welt. „Neben vielen weiteren Methoden helfen uns digitale Tools in der Trendrecherche, den Prozess noch stärker an unseren Konsumenten auszurichten und möglichst ungefiltert Konversationen und Bewegungen beobachten zu können“, sagt Sandra Plahuta, Head of Trends & Consumer Insights.
Social Listening ist angesagt
Die Zauberworte dabei sind „Social Listening“ und „Buzzwords“ (Schlagworte). Über Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) werden schlicht die Online-Aktivitäten der Verbraucher auf Such- und Händlerportalen sowie in Social-Media-Kanälen auf definierte Begriffe hin analysiert.
Bereits seit Jahren wendet L’Oréal das so genannte Social Listening an, entdeckt Trend-Themen, welche Inhaltsstoffe beliebter werden, und für welche Schönheits-Probleme Lösungen gesucht werden. Dass es nicht ausreicht, lediglich eine Google-Analyse zu betreiben, erklärt Sabine Menzel, Director Consumer & Market Intelligence: „So wird zum Beispiel auf Videoplattformen besonders viel nach Haarstyling-Ideen geschaut, während für Hautprobleme eher Informationen und Lösungen auf Marken-Websites wie Larocheposey.de gesucht werden und diese in spezifischen Foren besprochen werden.“ Produktbewertungen seien eine gute Quelle, um zu erfahren, welche Eigenschaften von den einzelnen Schönheitsprodukten erwartet würden und wie Innovationen angenommen würden.
Nicole Bard, Digital Director L’Oréal Deutschland, erklärt die Vorgehensweise. Daten und Künstliche Intelligenz werden vom Unternehmen verwendet, um bestimmte Prozesse von der Bedarfsprognose bis zum Medieneinkauf zu optimieren und zu automatisieren. „Wenn es um die ganz besonders frühzeitige Identifikation von schwachen Signalen geht, muss man hypothesengetrieben arbeiten. Das heißt, wir vermuten, dass bestimmte Begriffe, Bedürfnisse, Lösungen an Bedeutung gewinnen und suchen aktiv, wie der sogenannte ‚Buzz‘ im Netz sich verändert und inhaltlich aufgeladen ist, wie weit er streut und welche Aspekte und verwandte Themen sich gegenseitig beeinflussen.“
Wie ernst die Franzosen die Nutzung der neuen Möglichkeiten nehmen, zeigt die Systematik, mit der gearbeitet wird. Alle Marketingmitarbeiter haben Zugang zu einem internen Cockpit, können genau verfolgen, wie die eigene Marke im Vergleich zu anderen auf verschiedensten digitalen Leistungskennzahlen etwa im Bereich E-Commerce und Influencer-Marketing abschneidet und wo Optimierungsmöglichkeiten bestehen.
Nicht nur Großkonzerne nutzen die neue Art der Marktforschung. Auch der Frechener Beauty- und Health-Spezialist Schaebens bezieht diese ein, um relevante Trends und neue Verbraucherbedürfnisse frühzeitig zu identifizieren und die Produktentwicklung ganzheitlich anzugehen. Derwald: „Wir haben seit vielen Jahren einen 360-Grad-Ansatz etabliert. Wir beziehen die von Forschern identifizierten gesellschaftlichen Mega-Trends ein, setzen auf Trend-scouting und Store Checks, sowie auf KI und Marktforschung. Unsere Mitarbeiter sind auf Messen unterwegs und schauen sich oft in den Metropolen Europas und der Welt um, damit man am Puls der Zeit Trends der Verbraucher erkennt und richtig deutet.“
Timing ist alles
Die Digitalisierung könne dabei helfen, die richtigen Trends zur richtigen Zeit zu definieren. Denn: Reagiert man zu spät auf eine aktuelle Entwicklung, ist der Wettbewerb schon enorm, kommt eine Innovation zu früh auf den Markt, wird der große Erfolg höchst wahrscheinlich ebenso ausbleiben.
So lange ein Thema nicht auf einen gesellschaftlichen Trend einzahle, bleibe es eher in der Nische, weiß Derwald. „Naturkosmetik und naturnahe Kosmetik hatten wir beispielsweise bereits vor rund 20 Jahren als Trendthema beobachtet. Doch etabliert hat sich das Segment erst richtig, als Nachhaltigkeit zu einer gesellschaftlichen Bewegung wurde. Und es geht heute über die Rezeptur hinaus und setzt sich fort im Bereich nachhaltiger Packmittel und Wertschöpfungsketten“.
Mit Künstlicher Intelligenz und Algorithmen sollen also relevante Themen möglichst mit so viel Zeitvorsprung erkannt werden, dass das Produkt bereits auf dem Markt ist, wenn sich der Hype gerade erst aufbaut. Während zu viel Zeit verloren gehe, wenn Produktentwickler und Trendscouts neue Themen und Trendprodukte auf Messen oder in Geschäften entdeckten, könnten online Daten bereits zu dem Zeitpunkt analysiert werden, in dem sich der Verbraucher erstmals mit einem Thema beschäftigte, online danach suche, verdeutlicht Peter Hart, Gründer der Swarm Market Research AI.
Laut Hart kann die von dem Start-up entwickelte KI Pythia die Produktentwicklungszeiten für Unternehmen um sechs Monate verkürzen. Sie durchleuchtet Google, Social-Media-Kanäle und große Plattformen wie Amazon (Suchanfragen und getätigte Käufe) auf zuvor vom Kunden ausgewählte Schlagworte hin. Auf Grundlage von Suchfrequenzen der letzten fünf Jahre erstellt Pythia eine Prognose für die kommenden 18 Monate und visualisiert sie grafisch. Sehr früh habe die KI zum Beispiel eine große Nachfrage nach CBD- beziehungsweise Hanfprodukten und Vitamin C als Wirkstoff in Gesichtspflegemitteln vorhergesagt. Auch welche Looks, Farben oder Produktattribute (vegan, frei von) gefragt sein werden, lasse sich an den Ergebnissen ablesen. Neben Kunden aus der Kosmetikindustrie nutzt auch Drogist Rossmann die KI und hat sich mit 25 Prozent an dem Unternehmen beteiligt.
Fakten statt Lippenbekenntnisse
Zudem sprechen Daten eine eindeutige Sprache. „Wir können neue Trends quasi in Echtzeit entdecken und mit authentischem Konsumentenverhalten erleben und brauchen nicht erst qualitative und quantitative Befragungen aufsetzen“, so L’Oréal-Managerin Menzel. Während man bei Verbraucherumfragen oft Lippenbekenntnisse zu hören bekäme und der Inhalt des Einkaufskorbes zum Beispiel doch sehr viel weniger nachhaltig ist, als zuvor behauptet, zeigten die verarbeiteten Daten aus Suchanfragen und getätigten Online-Käufen, wie viele Verbraucher sich tatsächlich beispielsweise für einen nachhaltigen Lippenstift interessierten, gibt Hart ein Beispiel.
„Wir erhalten ein ganzheitliches Bild der Konsumenten- und Verwenderwelt, ungefärbt und ungestützt“, bestätigt Henkel-Marketingexpertin Schlatt die Vorteile der digitalen Transformation. Mittels Social Listening, Keywordanalysen und über eigene digitale wie physische Communities habe Henkel ,beide Ohren‘ direkt am Kunden, um die kommenden Modetrends und Looks zu antizipieren. Man entwickle aber auch selbst Trends – „dabei helfen uns unter anderem wichtige Insights von Influencern und natürlich auch unseren Handelspartnern“, ergänzt Schlatt. Für die kreative Umsetzung von Trends in Konzepte und Produkte seien neue interne Abläufe eingeführt worden, um in Projekt-Teams mit Kollegen aus dem Marketing, der Forschung & Entwicklung und der Verpackungsentwicklung möglichst schnelle Time-To-Market-Prozesse zu ermöglichen.
Kann man als Hersteller einen großen Trend für sein Portfolio als lukrativ identifizieren, fängt die richtige Arbeit jedoch erst an. Eine Trendzutat in eine Produktidee zu gießen, bringt nur dann einen Zusatznutzen und führt zu Wiederholungskäufen, wenn die Wirkung auch erlebbar ist. „Vitamin C ist beispielsweise seit gut ein bis zwei Jahren sehr angesagt in der Gesichtspflege“, gibt Derwald ein Beispiel.
Trendig und wirksam
Aber erst die richtig abgestimmte Rezeptur in Abstimmung mit anderen Wirkstoffen und dem richtigen Packmittel führt dann zu dem richtigen Ergebnis. „Für Schaebens stehen Produktqualität, Wirksamkeit, Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit an erster Stelle. Neuprodukte werden in Wirkungstests auf Herz und Nieren geprüft. Wir möchten mit unseren Produkten die höchst mögliche Wirksamkeit und minimale Nebenwirkungen bieten, sowie das Thema Nachhaltigkeit immer weiter ausbauen“, so Derwald.
Ist ein Produkt marktreif, nutzt die Digitalisierung auch in der Weiterentwicklung. Sigmar Werz, Corporate Director Global Digital Brand Commerce bei Beiersdorf: „Grundsätzlich hat sich im Zuge der digitalen Transformation, die Art wie wir in Marketing & Sales arbeiten, stark verändert. Wir sind heute viel schneller, wenn es darum geht, Produkt-Konzepte zu testen.“ Und das auch „live“ auf den Direct-to-Consumer-Kanälen (zum Beispiel der Shop nivea.de). Hier könne man Tests schnell durchführen, mit kleineren Chargen Konzepte ausprobieren und die Reaktion der gewünschten Zielgruppe in kürzester Zeit sehen und gegebenenfalls Anpassungen am Konzept vornehmen.“
Zielgruppenaffine Sprache
Sind die zielgruppengerechten Produktformeln und Verpackungen ausgewählt, gilt es auch die Kommunikation darauf auszurichten, den Kunden mit den richtigen Schlagworten und Claims zu erreichen.
Wichtig ist, die Sprache der Verbraucher zu sprechen“, betont L‘Oréal-Managerin Menzel. Durch Social und Search Insights weiß der Beauty-Spezialist beispielsweise, dass bis heute Frauen in Deutschland und Österreich viel mehr den Begriff Wimperntusche verwenden als das englischsprachige Mascara. Um Konsumenten auch sprachbasiert die richtigen Artikel zu bieten, wurden die Wimperntusche-Produkte der Make-up Marke Age Perfect an jedem Kontaktpunkt vom Produkt selbst, über PoS-Material und die Website bis hin zu E-Commerce-Shops entsprechend benannt. Ein weiteres Beispiel sei die Benennung einer Haarkur als „Fructis Schadenlöscher“, weil sie genau das beim Haar leiste.
Datensammler
Der Kreis schließt sich, wenn auch eigene digitale Produktlösungen für den Endverbraucher diesem nicht nur einen besonderen Service bieten, sondern dem Hersteller auch zusätzliche Daten für die Innovationsschmiede liefern. „Wir haben zum Beispiel gerade im letzten Jahr einen digitalen Assistenten zur Farbberatung bei der Wahl von Colorationen entwickelt und in Deutschland eingeführt“, so Henkel-Managerin Schlatt. Choicify.net schlägt Konsumenten auf Basis ihrer Ausgangshaarfarbe und des gewünschten Farbergebnisses das passende Produkt vor. Dabei empfiehlt die Anwendung nicht nur Colorationen von Henkel, sondern berücksichtigt auch Marken anderer Hersteller. „Die Qualität der Produktempfehlung wird durch eine Kombination aus fortschrittlichen Big-Data-Algorithmen zur Farbvorhersage und durch farbmetrische Messungen sichergestellt“, erklärt Schlatt.
L‘Oréal betreibt seit acht Jahren ein sogenanntes Tech Incubator Lab, für das mittlerweile 40 Mitarbeiter an verschiedenen regionalen Niederlassungen arbeiten. Ergebnisse sind beispielsweise die Make-up Genius App, mit der man virtuell Eyeliner oder Lidschatten testen kann, und der batterielose, tragbare Sonnenschutzsensor My Skin Track UV. „Anfang des Jahres haben wir auf der CES in Las Vegas ein Connected Device namens Perso vorgestellt, welches maßgeschneiderte Formeln für Gesichtspflege, Make-up und Lippenstift auf Basis künstlicher Intelligenz anbieten wird und 2021 auf den Markt kommen soll. Hiermit können wir zukünftig auch wichtige Datenpunkte sammeln“, so Nicole Bard.
Im Frühjahr 2020 neu eingeführt hat Beiersdorf die Web-App Nivea Skin Guide. Über die Applikation werden die individuellen Hautbedürfnisse von Nutzerinnen virtuell auf Basis ihrer Selfies ermittelt, verknüpft mit umfangreichen Forschungsdaten: Mehr als 10.000 Frauen weltweit haben über mehrere Monate hinweg täglich ihre Haut gemessen. Herausgekommen sind mehr als 12 Millionen Hautbilder, die Beiersdorf mithilfe künstlicher Intelligenz analysiert hat.
Für die individuelle Analyse werden drei Parameter der Haut gemessen: optisches Hautalter, Hautstraffheit und Hautebenmäßigkeit. Mit jedem Selfie lernt die Web-App die Haut ihrer Nutzerinnen besser kennen. Auf Grundlage der Analyseergebnisse erfahren sie, welche Wirkstoffe sie wirklich brauchen und erhalten persönliche Produktempfehlungen sowie auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Hautpflegetipps. Darüber hinaus können die Nutzerinnen ein einem digitalen Hauttagebuch auch die langfristige Entwicklung ihrer Haut dokumentieren.
„Nivea Skin Guide spiegelt sowohl die führende Hautpflegekompetenz von Beiersdorf als auch unseren zunehmenden Grad der Digitalisierung wider“, sagt Martin Böhm, Chief Digital Officer Beiersdorf. Einerseits schaffe die Web-App einen echten Mehrwert für die Verbraucherinnen im Bereich der Hautpflege und verbinde das Unternehmen mit ihnen auf direktem, digitalem Wege. Auf der anderen Seite ermögliche die große Menge an qualitativ hochwertigen Daten es Beiersdorf, noch besser auf die individuellen Bedürfnisse der Verbraucher einzugehen und ein personalisiertes Markenerlebnis entlang der gesamten Verbraucherreise zu schaffen
Fotos: Hazel Olayres on Unsplash, Henkel, L‘Oréal, Andreas Muhme, Beiersdorf, Cosnova