Innovation

Wie Händler und Hersteller die neue Landlust für sich nutzen

Landlust

Die vermeintlich heilere Welt auf dem Land zeigt sich in vielen Sortimenten und Konzepten. Aber ist was dran an dieser Sehnsucht? Und vor allem: Wie können Landwirte und Händler davon profitieren? Andrea Kurtz und Martin Heiermann analysieren.

Melanie Mauer / Unsplash

Das klassisch-romantische Bild des Landwirts – gibt es das noch? Aber ja, das bestätigen Landwirte und Vermarkter. „Angesichts sich überlappender Retro- und Nostalgiewellen scheint es fast, als wäre für weite Teile der heutigen Gesellschaft hinten das neue Vorn“, meint dazu HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Es sei ja kein Zufall, dass die Verkaufszahlen der Publikumszeitschrift „Landlust“ stetig stiegen. In der Tat: Im Durchschnitt erreicht jede im Zweimonats-Rhythmus erscheinende Ausgabe 2,5 Mio. Leser. Mehr als so manches andere etablierte deutsche Magazin. Und inzwischen sind viele Nachahmertitel, die ebenfalls den Trend „Land“ beschwören, auf dem Markt.

Aber woher kommt diese neue Bewegung, die sich im Landlust-Boom widerspiegelt? Es geht wohl darum, wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Die Globalisierung hat die Welt unübersichtlicher werden lassen. Vielen Menschen erscheint sie zunehmend chaotischer und unüberschaubarer. „Von daher werden auf einmal ganz andere Werte wichtig“, sagt Stephan Grünewald. Der Gründer des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold hat die „Generation Biedermeier“ unter die Lupe genommen. Sein Fazit: Diese setzt wieder auf Verlässlichkeit, auf Vertrauen und Transparenz. „Der Wertewandel in der Gesellschaft ist nicht zu leugnen“, hat auch Ralf-Thomas Reichrath, Geschäftsführer von Tönnies und früher stellvertretender Geschäftsführer im Zentraleinkauf bei Aldi Süd, beobachtet.

Neue Werte gesucht

„Die Jugendlichen suchen einen festen Halt“, meint Grünewald. Aber auch Personen in der Lebensmitte und Ältere reagieren auf das immer schnellere Leben mit seiner zunehmenden Reizüberflutung. Der Trend ’Land’ verspricht dagegen den direkten Kontakt zur Erde. Das Selbermachen in Küche und Garten gibt vielen das Gefühl zurück, selbst gestalten zu können, und das Wissen, woher Lebensmittel kommen und wie sie produziert wurden. So erklären die Trendforscher den Hype um regionale Produkte. Urban Gardening und Mietäcker manifestieren dieses Bedürfnis. „Für manche Kunden sind diese Gärten ein Geschenk, für manche ein Stück Heimat,“ erklärt Tegut-Sprecherin Stella Kircher. Der Lebensmitteleinzelhändler bietet seit über fünf Jahren solche Saisongärten an. „Die Suche nach Entschleunigung und Sinnhaftigkeit“ bewege die Deutschen, bestätigt Max von Grafenstein, Anbieter von Miet-Bauerngärten und ergänzt: „Kunden wollen die Souveränität über den eigenen Kühlschrank zurückgewinnen.“ Aber es gehe auch schlicht darum, sich gesund zu ernähren, meint Wanda Ganders von meine-ernte. „Es wird heute bewusster konsumiert“, sagt auch Reichrath.

Tegut Saisongarten

Tegut: Neue Heimat im Saisongarten

Seit gut zehn Jahren vermittelt der Lebensmittel-Einzelhändler Tegut Mietgärten. „Saisongärten“ nennt sie das Unternehmen. Allerdings steht bei den Fuldaern kein wirtschaftlicher Aspekt im Vordergrund. Vielmehr gehe es darum ein praktisches Gartenangebot für Menschen zu machen, die bisher wenig Erfahrung mit Gemüse-Eigenanbau haben, nicht über eigenes Land verfügen oder trotz knapper Zeit gärtnern möchten, sagt tegut. Auch für Kindergärten, Schulen und pädagogische Einrichtungen mit sei das eine Möglichkeit, „dem Ursprung unserer Nahrung hautnah nachspüren zu können“.
 
Inzwischen bietet das Unternehmen an rund 20 Standorten in Hessen, Franken und Thüringen Saisongärten an. Die Einnahmen gehen an die Betreiber, meist sind das Landwirte. Für die Saisongärten gibt es zwischen Tegut und den Landwirten an den verschiedenen Standorte Kooperationen in Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Konzeption.
 
Die Landwirte planen und organisieren selbst vor Ort. Sie übernehmen das Beackern, Ansäen, Pflanzen und Einteilen der Parzellen. Für die angehenden Saisongärtner bleibt so weniger harte Arbeit. Anfang Mai beginnen die Mieter dann meistens sich selbst um den Garten zu kümmern. Das berichtet auch Jens Müller-Cuendet, der in der Nähe von Darmstadt Mietparzellen anbietet. Anfangs, 2009, gab es etwa 50 Anmeldungen, berichtet er. Jetzt seien es schon Hunderte von Interessenten. Im Winter plant er die Saisongärten. Im März und April wird dann ausgesät. Und nach der Übergabe beantworte er Fragen und schreibe wöchentlich Rundmails. Im Spätherbst repariert Müller-Cuendet das Werkzeug, baut die Wassertanks ab und beginnt mit der Planung für kommende Jahr. Sein Ziel: Den Saisongärtnern ein Verständnis vom Gemüseanbau zu vermitteln.

Auch Tegut geht es darum „die Wertschätzung und Achtsamkeit gegenüber unserer Nahrung und der Natur mit ihren lebensnotwendigen Ressourcen entstehen lassen“. Dies sei die Grundlage für einen bewussten und nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Insofern sei die Initiative ein wichtiger Beitrag zur Bewusstseinsbildung und in gewisser Weise auch ein politisches Statement.

Typische Saisongärtner: Ältere und Jüngere, Singles, Paare und besonders Eltern mit Kindern, aber auch WGs. Diese Menschen seien in der Regel kritische Konsumenten, fänden beim Gärtnern aber auch etwas Therapeutisches und die Begegnung mit den Mitgärtnern. Für manche sei das Land ein Geschenk, für manche ein Stück Heimat, meint man bei Tegut und verbucht als Erfolg, dass die Saisongarten als offizielles Projekt der UN-Weltdekade 2013/14 „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichnet wurden.

Die Prinzessinnengärten oder das Himmelbeet in Berlin, die rund sechs Bonner Stadtteilgärten der Plattform „Taste of Heimat“, Gemeinschaftsgärten vor dem Freiburger Stadttheater oder auf dem Gelände einer Kölner Brauerei – über 450 Projekte zählt die Soziologin Christa Müller derzeit. Müller hält die Urban-Gardening-Bewegung für einen „subtilen Kommentar zur Zukunft der Stadt, zu Warenüberfluss und zur Ressourcenknappheit, der Vergemeinschaftungsprozesse schaffe. „Community entsteht über gemeinsame Nutzung“, erläutert sie. „Die Kultivierung der städtischen Natur geht einher mit einer Kultivierung des sozialen.“ Das sei aber alles andere als eine romantische Verklärung des Landes. „Es geht hier um eine Sehnsucht nach einer Stadt, die das Land nicht ausbeutet und vergiftet, sondern mit ihm kooperiert“, beschreibt sie.

Meine Ernte

Bonn: Selber ernten macht Spaß

Meine Ernte aus Bonn vermarktet und vermietet Flächen zur Selbstversorgung. „Wir waren die ersten, die das Geschäft mit Selbsternteflächen überregional begonnen habens,“ sagen die Geschäftsführerinnen Natalie Kirchbaumer und Wanda Ganders mit Stolz . So hätten sie auch „Urban Gardening“ in Deutschland maßgeblich vorangebracht und zum Trend gemacht.
 
Deutschlandweit werden Gemüsegärten an Städter, Naturbegeisterte und Familien vermietet. Zu jedem Saisonbeginn im Frühjahr sind dort dann bereits über 20 Gemüsearten ausgesät und gepflanzt. Wie bei den Wettbewerbern auch stehen den Gärtnerinnen und Gärtnern Gartengeräte, Gießwasser und eine umfangreiche Beratung, beispielsweise durch die Landwirte vor Ort, durch einen regelmäßigen Gärtnerbrief oder Tipps auf der Homepage meine-ernte.de zur Verfügung. Vermietet wird von Mai bis November.
 
Begonnen haben Ganders und Kirschbaumer 2010 mit sechs Standorten in NRW und Hessen. Rund 250 Gemüsegärten wurden damals zur Miete angeboten. Mittlerweile ackern fast 3.000 Hobbygärtner bei Meine Ernte. Jedes Jahr kommen neue Flächen dazu; die Zahl der Standorte wächst kontinuierlich. Und natürlich wird ohne Einsatz von Chemie oder Pestiziden gearbeitet. Das Team besteht derzeit aus drei Vollzeitkräften und mehreren Aushilfen.
 
Auch bei Meine Ernte machen vor ‧allem Studenten, Familien und Rentnern mit. „Die meisten Kunden sind zwischen Anfang 30 und Anfang 50 Jahre alt“, berichten die Gründerinnen. Ein ökologisches Bewusstsein zeichne sie aus. „Auch hören wir immer wieder, dass Kinder, die sonstwenig begeistert von Gemüse auf dem Teller sind, das eigene gern essen“, erzählt Ganders.
 
Ausgezeichnet wurde Meine Ernte mit dem Förderpreis der Agrarwirtschaft 2010, nominiert waren die Damen beispielsweise auch zum Gründerpreis NRW 2014.

Herkunft wird immer wichtiger

Es komme darauf an, wie man ’Land’ definiere, fassen die Experten zusammen. Wenn ’Land’ bedeute, dass sich immer mehr Menschen damit auseinadersetzen, woher ihre Lebensmittel kommen und die Produzenten am liebsten gern selbst kennen lernen wollten, gebe es diesen Trend auf jeden Fall. „Das ist die Kontra-Bewegung zur Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte“, heißt es auch bei Rheingold. Allerdings stecke dieser Trend noch in einer sehr frühen Phase, vergleichbar mit der Bio-Bewegung in den 90er-Jahren. Derzeit sei die Wachstumskurve für eine Hinwendung zum Land noch sehr flach. Und es hänge auf jeden Fall davon ab, in welcher Bevölkerungsschicht sich der Kunde bewege. Das Bewusstsein für regionale Produkte wachse. Und auch der Wunsch, einmal zu sehen, wie beispielsweise Rinderbauern Wurst und Schinken herstellen oder Milchbauern Schnittkäse reifen lassen. Der Lebensmittelhandel bietet an den Frischetheken längst Hof-Touren an – immer wieder mit großem Erfolg.

Alles nur Marketing?

365farmnet-Chef Maximilian von Löbbecke betont: „Das Gefühl von Heimat wird von den Handelsketten ganz stark genutzt, um die regionalen Marken zu pushen.“ Er glaubt an den langfristigen Trend zu einem bewussteren Einkauf, gerade bei der heutigen, aufgeklärten und kritischen Generation der internet-affinen Shopper.

Gründergeist auf dem Land

Auch viele Landwirte selbst setzen auf neue Vermarktungsmechanismen. „Die Notwendigkeit dazu haben viele erkannt“, analysiert Müller. Das Verkaufen auf dem Markt oder im Hofladen reiche meist nicht aus. Die Hofläden werden moderner und oft ergänzt durch Museen oder andere interaktive Besichtigungsmöglichkeiten. Bauern experimentieren mit E-Commerce-Tools und verschicken auch online. Landwirte bloggen und kommunizieren über Social-Media. Manche beraten ihre Kollegen darin sogar, wie beispielsweise die Unternehmerin des Jahres 2014 unter den Landfrauen, Jutta Zeisset aus dem badischen Weisweil. Bauern wie Klaus Brodbeck und Christoph Simpfendörfer aus Stuttgart-Möhringen vermieten Flächen an interessierte Städter, damit diese Gemüse anbauen können – das Pendant zum Urban Gardening. Brodbeck hilft bei Anbau und Pflege, ernten müssen die neuen Landwirte selbst. Dieses Modell findet bereits viele Nachahmer.

Landwirte vermieten Äcker

Lohnt sich die Ackervermietung für Landwirte? Als Marktführer im Segment Mietäcker bezeichnet Geschäftsführerin Ganders ihr Unternehmen Meine Ernte. 2009 gegründet ist es bundesweit an 25 Standorten aktiv und bietet Parzellen zwischen 45 und 90 qm an. Und die Nachfrage wächst. Neue Flächen werden gesucht. Das bestätigt auch Max von Grafenstein, der bei der Expansion seiner Bauerngärten an dieser Stelle ein Nadelöhr sieht und dennoch die Wirtschaftlichkeit des Modells betont. Nach Einschätzung des Deutschen Bauernverbandes (DBV) sind Mietäcker allerdings lediglich für einzelne Landwirte ein Geschäftsmodell. „Es geht dabei wohl eher um eine bestimmte Lebensphilosophie“, meint Hans-Dieter Stallknecht vom DBV. Ja, genau darum geht es dem Lebensmittelhändler Tegut. Die Hessen wollen jenseits des wirtschaftlichen Erfolgs die Wertschätzung und Achtsamkeit gegenüber Nahrung und Natur fördern. Das will natürlich auch Simpfendörfer. Der Landwirt geht deshalb noch einen Schritt weiter als die Saison- und Bauerngärten: Hier kaufen die Verbraucher – rund 215 Mitglieder hat der Landwirt − Anteile für ein ganzes Jahr und erhalten als Gegenleistung regelmäßig bestimmte Lebensmittel wie Milch, Eier, Brot oder Gemüse. Außerdem müssen Mitglieder einen Hofeinsatz leisten. „Meine Mitglieder sind Verbraucher, die sich gegen die Vergeudung von Lebensmitteln wenden, Bezug zur Landwirtschaft haben wollen“, erläutert er.

Die Kooperative zählt

Ein einzelner Onlineshop mit nur wenigen Produkten sei natürlich nicht so einfach zu bespielen, meinen Experten. Das sei eher in einer Kooperative, im Zusammenschluss mit anderen Anbietern, möglich. Der Aufbruch sei jedenfalls da. Es gebe schon viele junge landwirtschaftliche Unternehmer, die bereits Gründerpreise vorweisen könnten. Viele Landwirte seien aber oft einfach hilflos im Bereich Verkauf oder Versand und deswegen froh, wenn sie Partner-Plattformen wie landmarkt finden. Auch Güterkraftverkehrsspezialist Gattinger will bei der Online-Vermarktung helfen. Epelia, ein System für den regionalen Online-Handel, für Veranstalter, Markthändler und Endkunden kombiniert Logistik, Werbung und Service. Sollte ein Kunde am eigentlichen Markttag verhindert sein, kann er über Epelia online einkaufen. Frisch geliefert wird die Ware noch am selben Tag.

Interview: Bauer sucht Cloud

Maximilian von Löbbecke

Weniger im Fokus der deutschen Wirtschaft ist die stille digitale Revolution, die in der Landwirtschaft geschieht. Doch sie ist in vollem Gange. über den Beitrag der Digitalisierung zu bessereren Bedingungen für Pflanzen und Tiere und den vermeintlichen Trend zum Landleben sprach Andrea Kurtz mit Maximilian von Löbbecke, dem Chef von 365farmnet.

Sind die deutschen Landwirte schon digital unterwegs?

Auf jeden Fall. Zwar nutzen 85 Prozent noch keine Farm-Management-Software, um die Produktionsbereiche ihres Betriebs komplett mit einem einzigen System zu steuern, aber für viele der Bauern sind das Internet und zahlreiche Einzelsysteme bereits wirksame Hilfsmittel, um mehr Effizienz und Nachhaltigkeit in Teilbereichen zu erreichen. Anders als manche Politiker gehe ich davon aus, dass viele deutsche Bauern bereits in zwei Jahren ihre Produktion anteilig digital steuern werden.

Das spart Geld?

Gerade bei den kostenintensiven Posten Pflanzenschutz und Dünger lassen sich durch digitale Disposition die Ausgaben reduzieren. Insgesamt sehe ich durch die Digitalisierung der Landwirtschaft ein Einsparpotenzial von bis zu 20 Prozent bei Betriebsmitteln.

Wie helfen Sie den Landwirten?

Mit 365FarmNet werden Landwirte herstellerübergreifend den gesamten landwirtschaftlichen Betrieb mit nur einer Software bündeln. Sie können die Infos aller Maschinen vom Traktor bis zur Melkmaschine vernetzen und von nur einem Gerät aus steuern. Unser System ist eine webbasierte Anwendung, für die keine Installation erforderlich ist. Einzige technische Voraussetzung ist der Internetzugang ihres Rechners oder mobilen Endgerätes.

Das geht auch auf dem Tablet über eine App?

Ja. Mit unserer App können Buchungen dort erledigt werden, wo die Arbeit stattfindet. In der App stehen relevanten Informationen wie Schlagkarte, Fruchtfolge oder Hofkarte mit Anbau jederzeit zur Verfügung.

Also auch die Landwirtschaft wird digital, wie der Rest der Wirtschaft auch. Gibt es für Sie den Trend „Land“?

Ich sehe den Trend natürlich, aber in meinen Augen gibt es diesen hauptsächlich in den Medien. Und es gibt auch immer mehr Medienformate, die auf eine Art Faszination ’Land’ setzen. Aber das heißt ja nicht, dass auch ein Trend da ist. Es gibt sicher eine Sehnsucht nach Land, nach Ruhe, nach Natur, nach vermeintlich gesunden Lebensmitteln. Magazine wie „Landlust“ oder „Servus“ bedienen diese Sehnsucht, sprechen mit den attraktiven Bildern, den Rezepten, der gesamten Atmosphäre an und werden deswegen auch gern gekauft. Der heutige Konsument übersetzt das ja nicht unbedingt in sein tägliches Tun. Ich vergleiche das gern mit den Zuschauern von Soap-Operas, die sich gern heile Familien anschauen, weil sie selbst keine mehr haben.

Also kein Trend, nur Medien-Hype?

Ja, schauen Sie sich doch an, was auf dem Land passiert. Die Landflucht hält an, Dörfer kollabieren, weil nur noch alte Leute dort wohnen, Regionen veröden regelrecht. Für einen Spottpreis sind Häuser zu erwerben, aber es gibt niemanden, der dort wohnen will. Das wird sich erst dann wieder ändern, wenn Digitalisierung und Breitbandausbau soweit fortgeschritten sind, dass es wirklich egal ist, wo ich arbeite und überall gut angebunden bin. Das könnte einen Gegentrend bewirken, wird aber noch 30 bis 40 Jahre dauern.

Und warum setzt dann der Handel derzeit auf diesen Trend?

Ein Teil der Konsumenten ernährt sich bewusster. Das greift der Handel ebenso auf wie die Medien. Inwieweit dieses Bewusstsein die Preissensibilität bei Lebensmitteln verändert, bleibt abzuwarten.

Ist das klassische Bild des Landwirts denn noch existent?

Das Bild wird heute zunehmend gezeichnet von Medien, NGOs, und Politik. Dabei spielen Emotionen eine sehr viel größere Rolle als Fakten, ob bei Schlagwörtern wie Antibiotika, Tierwohl, Massentierhaltung oder Agrarwende. Das betrachte ich mit großer Sorge, denn die Darstellungen spiegeln weder das Gros der landwirtschaftlichen Realität, noch den Auftrag der Landwirtschaft wider, die Bevölkerung zu ernähren.

Gibt es ein Gründungsklima auch bei Landwirten?

Neue Landwirte sehe ich eigentlich nicht. Aber die Nachfolgergeneration hat viele Ideen zur Vermarktung ihrer Hofläden, ihrer Manufakturen oder für die Digitalisierung ihrer Betriebe. Ich erlebe die Landwirte als Menschen mit viel Unternehmergeist und einer hohen Findigkeit.

 Sind Landwirte die glücklicheren Entrepreneure?

Gegenfrage: Was ist Glück? Sie stehen vor den gleichen Herausforderungen wie andere Unternehmer auch, sind teilweise Sklaven der Banken und der Behörden. Aber: Sie befassen sich mit der Natur und sie verstehen sich etwas mehr als die ’Berufenen’, verstehen das, was sie tun nicht als Job. Deswegen sind sie von innen heraus überzeugter und glücklicher, das würde ich auf jeden Fall sagen. Sie haben sicher auch ein Wertegerüst. Sie haben eine Heimat, fühlen sich angekommen.

Was macht 365farmnet?

Maximilian-Bernhard von Löbbecke stammt selbst vom Land. Heute ist er Geschäftsführer von Agrarsoftware-Anbieter 365farmnet. Damit können u. a. Ackerschlagkartei, Düngeplanung oder Herdenmanagement erstmals in einer Software verarbeitet werden. Der Landwirt muss Stammdaten und Schlaginformationen nur einmal anlegen und kann über die Schnittstellen Anwendungen seiner Partner aus der Agrarbranche an 365 Tagen im Jahr jederzeit jede Information sehen und entsprechend den Einsatz von Futtermitteln, Pflanzenschutz oder Tierarzneien steuern. Das Unternehmen wurde 2013 gegründet und unterstützt mit seinem Software-Werkzeug bereits einige hundert bäuerliche Betriebe in Deutschland.